Samstag, 16. August 2008

Wenn man das Glück nicht achtet


Verstecktes Glück
Originally uploaded by hobbes_ch
Ich bekam ein „verstecktes Glück“ geschenkt, habe es jedoch tatsächlich vergessen mit zu nehmen. Wie kann man so etwas wichtiges denn nur vergessen! Nicht nur, das mich die Schenkerin Anette beim nächsten Besuch mit dem Zaunpfahl auf die verdörrte Pflaume die bei mir anstelle eines Denkapparates eingebaut sei hinwies (...obwohl Frauen die unglaubliche Gabe haben, solch einen Hinweis mit Blumen und farbigen Schleifchen zu umwickeln, bis er fast wie ein Kompliment daher kommt). Nein, das verschmähte Glück rächte sich in den letzten zwei Wochen gleich selber und ohne Beihilfe Anettes.

Wie alles begann: Wie bereits gesagt vergass ich das „versteckte Glück“, einen winziger Kristall in einer genauso winzigen Höhle eines ziemlich winzigen Steins bei Anette auf dem Küchentisch. Inzwischen liegt „das versteckte Glück“ natürlich längst hier bei mir auf dem Arbeitstisch und ist, beim genaueren betrachten, auch gar nicht so winzig. Sonst fühlt es sich noch beleidigt und mir erfährt noch mehr Unglück.

Am Folgetag wollen Anette und ich Rollerbladen gehen. Diese dynamische Sportart gehört bei mir durchaus zu den beliebtesten Ausreden um Sonntags nicht die Küche aufzuräumen. Ich hatte mir für unseren grossen Sportausflug extra ein neues und furchtbar verbilligtes Paar Rollerblades gekauft. Mit diesen baumelnden Trophäen und einem noch jungfräulichen Paar Handgelenkschoner stolziere ich also Richtung Bushaltestelle. Leider bin ich für den geplanten Zug, den Anette und ich erwischen wollen, etwas spät dran. Das hält den Bus leider kein Bisschen davon ab, mir vor der Nase davon zu fahren. Ich stehe also immer noch mit baumelnden Rollerblades an der Bushaltestelle, sehe aber inzwischen wegen den nun etwas hängenden Schultern eher aus wie ein schlechte ausgewuchteter Weihnachtsbaum. Der nächste Bus fährt um neun Uhr fünfzehn. Na ja, das könnte noch knapp hinhauen. Um neun Uhr siebzehn ist er allerdings immer noch nicht da und ich werde nervös. Ich prüfe nochmals die Abfahrtszeit und erkenne das der Bus in Wirklichkeit erst um zweiundzwanzig nach fährt. Das ist verdammt spät! Kurzentschlossen ringe ich mich dazu durch, mit den Rollerblades bis zum Dreispitz zu fahren um dort den anderen Bus an den Badischen Bahnhof zu erwischen.

In flottem Tempo düse ich den Hügel hinunter, bremse aber doch immer wieder auf halbe Schallgeschwindigkeit ab, um einen möglichen Sturz zu überleben und doch noch nach Nepal reisen zu können. Zu dem bereits erwarteten Sturz kommt's dann auch schon wenig später. Meine Beine wabbeln wie Pudding und wollen alles andere als geradeaus fahren. Mit der Koordination der abtrünnigen Extremitäten beschäftigt erfährt mein Gleichgewichtssinn eine spontane Überlastung und beschliesst erst einmal eine neutrale Ruheposition einzunehmen. Ich lande ziemlich unsanft auf dem Bauch und schürfe mir einige exponierte Stellen auf. Stöhnend rolle ich mich erst einmal von der Strasse und setzte mich auf die Böschung um den Schaden zu begutachten. Eigentlich ist alles nicht so schlimm. Nur oberflächliche Schürfungen und meine Schulter tut etwas weh. Ich kann den Arm nicht mehr richtig bewegen, aber das gibt sich sicher auch bald wieder.

Ich fahre weiter. Ganze fünf Meter. Dann merke ich das meine nagelneuen Rollerblades beim Sturz kaputt gegangen sind. Eine Schnalle ist abgebrochen und ich fahre nur den Stil eines umgekehrten und sehr flachen „V“s. Ich hätte das „versteckte Glück“ wirklich nicht vergessen dürfen!

Endlich bei Anette angekommen werde ich erst einmal von ihr desinfiziert und dick mit Sportverletzungssalbe eingestrichen. Eine Apotheke hat uns aus Erbarmen mehrere Gratismuster mitgegeben, welche wir nun nacheinander durchprobieren. Die erste Salbe brennt wie Feuer und kühlt gleichzeitig. Vielleicht hört sich das jetzt komisch an, aber genau so wirkte sie. Das Produkt sollte den Markennamen „Gefrorener Vulkan“ oder „hEissgekühlt“ tragen.

Den Tag verbringen wir mit einer mehr oder weniger entspannten Tour durch Freiburg, inklusive einer Besteigung des Schlossbergturms. Unterbrochen wird der Ausflug nur durch regelmässig aufwallendes Gejammer meinerseits, welchem Anette mit erneuten Salbungsaktionen begegnet. Ich empfehle ihr, mir doch eine „letzte Ölung“ zu verpassen und mich danach not zu schlachten. Leider weigert sie sich konsequent gegen diese finalen Schritte und salbt fleissig weiter.

Nach der Rückfahrt kommen wir glücklich wieder in Basel an und ich versuche den Zug zu verlassen. Leider gelingt mir das nicht gleich. In dem Moment als ich durch die grosse Automatiktür des Wagons trete, donnert diese heftig zu. Genau auf meine verletzte Schulter. I gebe zu, das tut jetzt schon etwas weh. Ich hätte das „versteckte Glück“ wirklich nicht vergessen dürfen!

Eine Woche später sind die ganzen Schürfwunden schon wieder ziemlich verheilt, nur mein linker Arm baumelt immer noch ziemlich lustlos an mir runter. Zwar kann ich ihn inzwischen schon wieder etwa zwei Zentimeter anheben, aber damit kommt man in der Dusche schwer an die eigenen Haare. Und einhändig Haare Waschen ist wie mit der linken Hand Papier zu schneiden: Man kann es auch gleich lassen.

In Ermangelung einer besseren Lösung hebe ich also mit dem rechten Arm meinen linken Arm hoch und stütze den Ellenbogen in die Ecke der Duschkabine. So gelangt meine linke Hand in meine Haare und krallt sich dort erstmal fest. Inzwischen habe ich bemerkt, das ich meiner Hand vielleicht besser vorher noch etwas Schampo hätte mitgegeben sollen und versuche dies nun einhändig nachzuholen. Im Blindflug drücke ich mir einen riesigen Klacks Schampo direkt auf den Kopf und in die Augen. Nun versuche ich, inzwischen blind, die schlampigen Waschvorbereitungen durch einigermassen koordinierte Handarbeit beider Hände wieder wett zu machen. Leider verursachen diese Bewegungen nun doch ziemlich massive Schmerzen in meiner Schulter und ich lasse das ganze sein. Wer verletzt ist braucht keine supersauberen Haare. Ausserdem sollte die doofe Schulter nach dieser Zeit schon längst wieder gesund sein. Ich beschliesse nun doch noch zum Arzt zu gehen. Vorher will ich den Unfall aber noch bei meiner Versicherung melden.

„Aber sie sind bei uns gar nicht Unfall versichert“, meint der Kundenberater meiner Versicherung pikiert. "Wie kann denn das sein“ erwidere ich „ich habe doch extra dazu geschrieben das ich nach Ablauf meiner Abredeversicherung meines ehemaligen Arbeitgebers bei ihnen auch die Unfallversicherung will“. „Ja, aber sie haben es nur bei dem Formular der Zusatzversicherung“ dazu geschrieben. Nun sind sie nur Unfall-Zusatzversichert.“
Ich stosse wieder einmal an die Grenzen meines Begriffsuniversums, insbesondere was versicherungstechnisches Gefasel anbelangt. Wie kann man zusatzversichert sein ohne eine Grundversicherung zu haben und warum ist eine Unfall-Zusatzversicherung keine Unfall-Zusatzversicherung zur Kranken-Grundversicherung, so wie ich das eben verstanden hatte. „Wir melden uns morgen wieder“, meint mein Kundenberater dazu.

Wenig später sitze ich im Wartesaal meines Hausarztes, einem früheren Schulkollegen. Vor mir liegen sicher zwanzig interessante Zeitschriften die alle gelesen werden wollen. Kostet es eigentlich, wenn man einfach so ins Wartezimmer seines Hausarztes zum Lesen geht? Auch ohne Arzttermin? Ich lesen einen Beitrag in der Geo über „Entscheidungen“ und komme genau bis zur Seite zwei, dann bin ich schon an der Reihe. Dabei wurde der Artikel gerade spannend. Es ist immer das gleiche mit diesen Wartesälen. Fängt man erst gar nicht an zu lesen, wartet man Stunden. Liest man doch, wird man genau dann wenn der Text spannend wird aufgerufen.

Nachdem ich meinem Arzt meine Schulter zeige schüttelt der nur den Kopf und mach seltsame Geräusche. "Ohh ohhh ohhh". Schliesslich findet er, dass das nicht gut aussehe. Eigentlich hätte er schon lange keine so schlimme Schulter mehr gesehen (beruhigend). Vielleicht müsse man das operieren (sehr beruhigend) und eine Schraube reindrehen (wahnsinnig beruhigend). Und wahrscheinlich müsse man auch ein MRI machen (äusserst beruhigend, vor allem wenn man nicht unfallversichert ist, also alles selber bezahlen muss!). Ich hätte das „versteckte Glück„ wirklich nicht vergessen sollen!!

Schliesslich röntgt er mich aber nur und meint danach lakonisch, die Schulter sei gebrochen. Kein Wunder hat das mit den beidhändigen Haare waschen nicht geklappt, denke ich mir. Aber man müsse nichts machen, das wachse nach drei bis vier Wochen wieder zusammen. Er will mir auch keine Schrauben, Dübel, Anker oder sonstigen Metallteile mehr implantieren, sondern einfach nur warten und in zwei Wochen nochmals röntgen. Warten ist gut! Röntgen ist auch gut! Das tut alles nicht sehr weh und kostet auch nicht so viel. Doch noch Glück gehabt. Wenn auch versteckt.

Als sich am Nachmittag dann auch noch die Versicherung meldet und mir eröffnet, sie hätten beschlossen das ich die Unfallversicherung nachträglich und rückwirkend abschliessen könne ist mein Tag gerettet. Ich werde nie wieder ein Glück vergessen. Nicht mal wenn es versteckt ist!