Montag, 22. Dezember 2008

An Weihnachten in Angkor Wat


Soll ich denen hinterher??
Originally uploaded by hobbes_ch
Nach ein paar gemütlichen (fast Internet-freien) Tagen an den schönsten Stränden Thailands bin ich nun in Kambodscha gelandet und kurz vor der Besichtigung des famosen Angkor Wat. Einen kurzen Blick durften wir schon wagen, denn nach 17 Uhr kann man das achte Weltwunder für eine kurze Zeit kostenlos besuchen.

Samstag, 22. November 2008

Wieder online


Goldig
Originally uploaded by hobbes_ch
Nach zwei Monaten in Nepal bin ich nun in Bangkok angekommen und wieder online.

Hier die Fotos meiner Nepal-Trekks im Annapurna und Mount Everest Gebiet.

Donnerstag, 20. November 2008

Zwei Monate unterwegs in Nepal


Gokyo Ri
Originally uploaded by hobbes_ch
„Haaa haaa haaaa“ lacht es von den Bäumen. Ein nepalesischer Raabe scheint uns lautstark auszulachen. „Haaa haaa“, schon wieder. „Was wollt denn ihr hier im Himalaja?“. Dabei amüsiert er sich köstlich und vielleicht hat er sogar recht. Was wollen wir eigentlich hier oben in dieser für den Menschen so feindseligen Umgebung. Dem Raben scheint die Höhe nichts anhaben zu können. Noch auf über fünftausend Metern Höhe werden wir diesem Vogel begegnen und fast immer wir er unser Tun genau im richtigen Moment kräftig verhöhnen. Zum Beispiel wenn ich den falschen Weg einschlage, oder Papa über eine Wurzel stolpert. „Hahaaa ihr Deppen!“.

Der Schweiss klebt uns die Kleider an den Leib. Zikaden schreien ihr monotones Lied. Wie das Geräusch einer singenden Turbine. Nepalesische Turbinen-Käfer. Und überall Bananen und Reis. Reis, Reis und wieder Reis. Die ganzen Hänge sind voll davon. Wer soll denn das alles essen?

Keine Berge. Schon gar kein Schnee. Nur grüne Hügelketten, zu sanften Stufen gemeisselt und mit Reis bepflanzt. Als hätte Yeti für sich riesige Treppen in die Landschaft gehauen und danach einen essbaren Rasenteppich über die Stufen gelegt. Sie leuchten goldgrün im Abendlicht und wirken wunderbar weich. Man hat das Verlangen mit der Hand darüber zu streichen und das weiche Grün hautnah zu erleben.

Bald werde ich mich nach den warmen, sauerstoffreichen Gebieten des Annapurna zurücksehen. Dann, wenn ich in viereinhalb tausend Metern Höhe schlotternd die Nacht verbringe, weil der mitgebrachte Migros-Schlafsack für Himalajas Höhen einfach nichts taugt. Doch davon bin ich noch ein paar Wochen entfernt. Ein paar Wochen, mit unzähligen Erlebnissen und Eindrücken gefüllt, die jegliche Form eines übersichtlichen Reiseberichts sprengen. Ein paar Wochen zusammen mit meinem Papa Rodolfo, den ich auf dieser eindrücklichen Tour begleiten durfte. Ich versuche zusammen zu fassen um nicht ins uferlose Meer des Erzählens hinaus zu driften. Die Nepal-Erfahrung ist jedoch mächtig und nur schwierig in Worte zu fassen.

Die Unendlichkeit zum greifen Nahe
Auf dem Dach der Welt zu stehen und die weissen Ziegel gleissend, übermächtig und scheinbar greifbar vor einem ins tiefe Mittagsblau ragen zu sehen gehört mit Sicherheit zu einem der letzten Abenteuer dieser Welt. Wobei ich mir beim schreiben dieses Satzes gerade selber bewusst werde, das ich schon einige dieser letzten Abenteuer erleben durfte, seit ich im Mai 2007 zu meiner Weltreise aufbrach. Irgendwie verfolgen sie mich, die letzten Abenteuer und ich kann noch nicht einmal behaupten, das mir dies ungelegen kommt. Trotzdem: Nepal ist etwas ganz besonderes. Es sind die Gegensätze die es mir so schwer machen das erlebte zu beschreiben. Der Himalaja ist gleichzeitig wunderschön und doch auch beängstigend, zauberhaft und im selben Moment gefährlich. Als Mensch komme ich mir darin winzig und verloren vor. Dann doch wieder aufgehoben und freundlich begrüsst. Ich stehe am Fusse eines Riesen, der mit seinen gewaltigen Augen auf mich herab starrt und mich in seine Hand nimmt. Er könnte mich zerdrücken wie eine Fliege, oder mich den atemberaubenden Anblick von seinen Schultern aus geniessen lassen. Dank dem er acht Wochen gnädig war, bin ich schliesslich doch noch fähig einen Bericht zu schreiben.

Man ist fast gezwungen Vergleiche und Metaphern für die gigantische Höhenkette zu finden. Zu mächtig ist der Eindruck. Vielleicht vergleichbar mit einem sommernächtlichen Sternenhimmel. Auch hier lässt einem die Übermacht der Sterne keinen Ausweg sich klein und hilflos vorzukommen und gleichzeitig fasziniert zu sein, von der Grösse und Schönheit des Anblicks. Umgeben von Achttausendern die ihre weissen Klauen weit ins dunkle Blau krallen ist das Gefühl ganz ähnlich. Jedoch sind die Ränder der Empfindungen im Himalaja schärfer und intensiver, da die Protagonisten dieses monumentalen Schauspiels greifbar und allgegenwärtig um einem herum stehen. Eingekreist im Horizont der Riesen wird der Eindruck verstärkt und brennt sich deutlich ins Gedächtnis. Dazu kommt die spürbar dünne Luft, die auf einer anderen Empfingungsebene mitwirkt. Trunken vom Sauerstoffmangel spielt uns der Kopf so manchen Streich und selbst nachts durchfahren uns wilde Träume und gönnen uns keine Pause. Himalaja nonstop. Ach Wochen lang.

Wie alles begann
Vor einiger Zeit standen zwei, zwar nicht einsame, aber doch Wanderer, auf halber Strecke zwischen Kathmandu und Beshishar. Nachdem ihr Reisegefährt, ein hier üblicher Kleinbus, ganze drei mal zusammen gebrochen und wieder geflickt worden ist, war beim vierten Zwischenfall dann doch das vorzeitige Ende der Busfahrt erreicht. Ein Unfall soll sich vor uns ereignet haben. Ein Mann sei dabei umgekommen und die Polizei liesse niemanden mehr durch. Totalsperre. Wir sind noch zweiundvierzig Kilometer vom Ausgangspunkt unseres Annapurna-Treckings entfernt, was wir aber zu diesem Zeitpunkt nicht wissen und kurzentschlossen los marschieren. Vorbei am unsichtbaren Unfall und ein paar sichtbar Trauernden.

Das Glück schien mit den Unwissenden gewesen zu sein, denn Papa und ich erreichten dank einiger glücklicher Zufälle doch noch den Ausgangspunkt unserer Wanderung, ohne die ganzen zweiundvierzig Kilometer marschieren zu müssen. Wir beschliessen die bisherigen Ereignisse nicht als schlechtes Omen zu nehmen, sondern eher als eine missglückte Generalprobe, die ja bekanntlich eine hervorragende Premiere nach sich zieht. Und tatsächlich, die Premiere verlief erfolgreich! Die ersten Trecking-Tage im Annapurna-Gebiet sind zauberhaft und intensiv.
Eigentlich ist es ja auf dieser Höhe, weit unter tausend Metern, noch gar kein richtiges Trecking. All die Bananen und Reisfelder, das ganze tropische Grünzeugs und die nicht existenten weissen Bergspitzen lassen keine wirkliche Hochgebirgs-stimmung aufkommen. Das ganze scheint eher so etwas wie ein Asien-Spaziergang für Rentner zu sein. Trotzdem hat auch dieser erste Abschnitt seinen besonderen Reiz. Wir ziehen eine ganze Menge Tiere an während wir so durch die grünen Wälder und Felder stapfen. Schmetterlinge, Grashüpfer, lachende Raben, Blutegel und Stechmücken. Letztere hauptsächlich ich und mit entsprechenden Nebenwirkungen. Die Hitze auf dieser moderaten Höhe macht uns ziemlich zu schaffen. Wir verdunsten literweise Tee, Cola und Wasser ohne das wir je das Gefühl haben wirklich durstfrei zu sein. Kaum zu sich genommen, dampfen die Getränke in den nächsten Minuten auch schon wieder durch unsere Poren und verschafft unseren Tshirts diese prächtige, feuchtklebrige Konsitenz.

Mit Papa unterwegs zu sein klappt erstaunlich gut. Wir waren ja beide schon mit einigem Respekt an die Sache heran gegangen. Schliesslich ist es nicht ganz ohne, zwei Monate mit seinem Vater unterwegs zu sein. Besonders nachdem seit unseren letzten gemeinsamen Ferien doch mehr als vierundzwanzig Jahre vergangen sind. Aber eben: Trotz vorsorglich von Freunden empfohlenen Notfall-Plänen (Ruedi sei Dank!) ging alles ganz gut. Ich erfuhr eine Menge über meine Verwandtschaft und ihre Geschichte. Vor allem über meinen Grossvater erzählt mir Papa eine Menge spannender Dinge. Es ist faszinierend seine eigenen Sippengeschichte erzählt zu kriegen, noch dazu in Nepalesischen Höhen.

Papa und ich merken auch schon bald, das wir den gleichen Humor haben und dies auch oft unsere ganze Umgebung spüren lassen. Auch wenn wir damit manchmal etwas gar aus dem Rahmen fallen, was von unseren Mit-Treckern jedoch freudige begrüsst wird.

Eine Grenze auf zweitausend Metern Höhe
Während Papa und ich unsere Familiengeschichte aufarbeiten, frisst sich der vor uns liegende Weg konstant weiter in die Höhe. Den zeitweise steilen Hängen entlang, durch Flusstäler, Mischwälder und die bereits vertrauten Terassenfelder. Höher und höher. In zweitausend Metern ist eine magische Grenze erreicht. Die Vegetation ändert sich plötzlich. Die Laubbäume werden immer mehr von Nadelbäume verdrängt und die Vegetation lichtet sich. Wüssten wir es nicht genauer, wir hätten wohl oft das Gefühl wir befinden uns in der Schweiz. Einer Schweiz ohne Strassen und mit erstaunlich vielen nepalesischen Gastarbeitern.

Rund eine Woche nach dem Start entdecken wir am Horizont die ersten weissen Bergriesen. Auch wenn sie noch viele Kilometer weit entfernt sind, lassen sie doch jetzt schon erahnen, wie überdimensional sie in der Landschaft stehen und wer hier die wahren Stars des Annapurna-Gebiets sind.

Langsam macht sich die Höhe nicht nur in der veränderter Vegetation, sondern auch in unseren Lungen bemerkbar. Steile Steigungen sind plötzlich nur noch mit deutlichem Keuchen und entsprechender Anstrengung zu bewältigen. Und mit jedem Meter den wir höher kriechen scheint dies deutlicher zu werden. Wie alte Dampflocks schnaufen wir dem Weg entlang und dabei haben wir erst die halbe Zielhöhe erreicht. Wir können uns kaum vorstellen, wie es erst auf fünftausend Metern Höhe sein wird.

Tausend Meter höher. Nur noch Nadelbäume säumen unseren Pfad. Wir erreichen einen berauschenden Ort, das Heavens Gate. Die Willkür der Natur hat hier eine riesige Rampe in den Berg gefräst. Die völlig glatt geschliffenen Berghänge wölben sich surrealistisch vor uns in die Höhe und bilden einen geschwungenen Sattel der das ganze Tal einfasst. Es scheint als bilde dieses Gate auch das Tor zum eigentlichen Himalaja. Schon kurz danach werden die Hänge deutlich kahler. Doch vor wir die grünen Wälder endgültig verlassen, lernen wir Ursi und Bruno kennen, zwei lustige Schweizer Weltenbummler, die wir in den kommenden Wochen noch oft und freudig wiedersehen werden und mit denen wir so manches Trecker-Erlebnis teilen dürfen. Von ihnen erfahre ich auch einige Tipps für Australien und Thailand. Unter anderem erzählen sie mir von ein paar traumhaften Bungalows auf der Insel Ko Yao Noi und wie es der Zufall will, sitze ich während dem Tippen dieses Reiseberichts auf der Veranda eben eines dieser Bungalows.

Das letzte grosse Dorf das wir vor dem Eintritt in den höheren Himalaja noch Besuchen ist Manang. Ein ganzes Dorf aus Stein. Jedes Haus wurde sorgfältig, mörtellos aus handgehauenen Steinen geschichtet und mit Wellblech bedacht. Der Anblick stammt wie aus einem früheren Jahrhundert (mit Ausnahme des Wellblechs und der Solarpanel) und wir geniessen ihn gleich einen Tag länger, denn ab jetzt müssen wir uns erst an die viertausend Meter Höhe gewöhnen. Um der gefährlichen Höhenkrankheit AMS (Acute Mountain Sickness) vorzubeugen, dürfen wir pro Tag nur vierhundert Meter aufsteigen und müssen alle tausend Meter einen Aklimatisationstag einplanen. Viele ungeduldige Trecker haben ihre Ignoranz dieser goldigen Regel gegenüber schon mit dem Leben bezahlt. Auch wir werden in unseren zwei Monaten Himalaja Zeuge einiger Vorfälle. Unter anderem dem tragischen Tod einer Schweizer Treckerin, die auf rund fünftausend Metern Höhe krank wurde und noch in der gleichen Nacht verstarb.
Zum Glück bleiben Papa und mir schwerere Folgen der Höhenkrakheit erspart, wenn wir auch die Höhe ebenfalls ziemlich deutlich zu spüren bekommen. Bei mir wirkt sich die dünne Luft vor allem in wilden Träumen aus. In einer Nacht in Manang wache ich plötzlich hechelnd und mit rasenden Kopfschmerzen auf und habe das Gefühl einfach nicht genug Luft in meine Lungen pumpen zu können.

Der fast trunkene Zustand in der dünnen Luft hat aber auch angenehme Folgen. Mir kommen viele neue Gedanken und Ideen. So fühle ich mich plötzlich wie ein Gartenschlauch der in einer Wiese liegt und plötzlich unter Druck gesetzt wird. Da ihm niemand eine Richtung vorgibt windet er sich und schlägt wild um sich ohne seine Energie wirklich in eine Richtung zu lenken. Dieses Bild meiner selbst hilft mir vieles besser zu verstehen.
Auch denke ich in dieser Zeit viel über das Künstler-Dasein nach und was es bedeutet sich dem Chaos der Kreativität zu unterwerfen. Mir wird plötzlich bewusst, das die Welt die dem Ursprung der Kreativität entspricht auch Gefahren birgt, die ich bisher völlig übersehen habe. Gefahren die einem bis in den Wahnsinn treiben können, wenn man sie nicht ernst nimmt und sich entsprechend schützt. Die wahre Kunst scheint mir plötzlich darin zu liegen, dieses kreative Chaos in den Griff zu kriegen und mit sorgfältiger Auswahl den richtigen Teil heraus zu schälen, in Ordnung zu bringen und fest zu halten. Es ist jedoch eine ständige Gratwanderung die einen Künstler wohl ein Leben lang verzweifeln lassen kann. Auch wird mir bewusst, wie wichtig die Ordnung als solches ist. Das Wirken entgegen der Entropie die alles zurück ins Chaos zu stürzen sucht. Das in Ordnung bringen und halten. Gerade für Chaoten wie mich ist dies ein völlig neuer Aspekt, den erst die dünne Luft des Himalaja ans Licht treten lässt.

Papa wiederum kommt völlig erschöpft von einer Akklimatisationswanderung auf viertausend Metern zum Hotel in Manang zurück und wird sich für viele Tage nicht mehr richtig erholen. Eine Grippe in Kombination mit AMS-Symptomen rauben ihm einen grossen Teil seiner Kräfte und machen den vor uns liegenden Thorong-La Pass für ihn zur Qual.

Über den Grat des Thorong-La
Die vielen Wanderungen in bewaldeter Umgebung haben vorerst ein Ende. Ab viertausend Metern Höhe beherrscht Buschland in bunten Farben das Landschaftsbild. Im Kontrast zu den weissen Riesen, die nun deutlich vor uns in die Höhe ragen, ein fantastischer Postkarten-Anblick. Natürlich haben wir auch die üppigen Reisfelder und Bananenhaine längst hinter uns gelassen und fast schon vergessen. Bis vor kurzem waren noch das eine oder andere Maisfeld und auch ab und zu noch ein paar Apfelbäume zu sehen. Doch auch diese wurden immer mehr von Nadelbäumen und schliesslich nur noch farbigen Büschen verdrängt.
Selbst in dieser kargen Vegetation ist die Luft trotzdem noch mit üppigen und aromatischen Düften durchsetzt, die uns im kühlen Wind entgegen wehen. In der dünnen Luft scheinen die Düfte intensiver zu sein. Wir erklimmen die ständig höher steigenden Pfade, welche sich nun deutlich im grauen Fels abzeichnen. Eine helle Spur, brutal in den Hang getreten und ohne sichtbares Ende. Sie zieht sich immer weiter. Höher und Höher. Bis nach Thorong Pedi, unserer letzten Unterkunft vor dem mächtigen Pass.
Thorong Pedi muss mit dem doppelten Besucherstrom fertig werden, da sich sowohl die Überquerer dieser Seite, wie auch jene der anderen Seite des Passes hier treffen. Für uns heisst das ein paar ungemütliche Stunden in einem Massenschlag. Geschlafen wird sowieso nicht lange und morgens um vier brechen wir auf um den härtesten Teil unseres ersten Treckings in Angriff zu nehmen.

Noch im Dunkeln beginnen wir, mit Stirnlampen geschmückt, den mühsamen Aufstieg. Vor uns liegt der fast senkrechte Hang in welchem viele tanzende Lichtlein spielen. Sie gehören anderen Trecker die noch früher als wir gestartet sind. Der Aufstieg wird mit jedem Meter anstrengender. Ich hyperventiliere um genügend Luft in meine überlasteten Lungen zu pumpen. Beim Ausatmen gefriert die Luftfeuchtigkeit vor meinem Gesicht zur diffusen Wolke. Genauso wie das Wasser in meinem Trink-Beutel.

Papa ist verdächtig ruhig und will sich schon im ersten Teehaus zur Erholung hinlegen. Wir müssen jedoch weiter. Der Weg ist weit und uns bleibt nicht viel Zeit für die einzelnen Abschnitte. Wir kämpfen uns den vereisten Weg hinauf. Es ist bitter kalt so früh am Morgen. Meine Hände sind gefrorene Klumpen und meine Füsse verdienen auch nicht mehr das Prädikat warm. Ich habe das Gefühl, wenn ich meine Handschuhe jetzt ausziehe, fallen meine Hände einfach ab. Trotzdem erreichen wir die fünftausend Meter Grenze. Ich keuche und schnaufe wie ein Maultier, fühle mich aber sonst ganz ok. Papa ist etwas zurück gefallen und macht nicht wirklich einen glücklichen Eindruck. Langsam erscheint die Sonne am Horizont was uns neuen Antrieb gibt. Die tröstlichen, warmen Strahlen tasten über die östlichen Bergrücken nach meinen gebeutelten Fingern. Im Nu fühle ich den breiten Ameisenstrom durch meine Adern krabbeln, der mir die Rückkehr des Fingerspitzengefühls ankündigt.

In fünftausend dreihundert Metern Höhe bin ich sicher, nun müssten wir endlich den Pass erreichen. Weiche Kuppen vor uns scheinen deutlich das obere Ende zu markieren. Es kann gar nicht mehr höher gehen. Dies muss der letzte Buckel sein. Falsch! Kaum haben wir ihn erreicht, erscheint dahinter wieder ein neuer. Und in diesem frustrierenden Sisyphos-Spiel geht es weiter und weiter. Jedoch immer langsamer, denn ab dieser Höhe ist jeder Schritt eine Herausforderung für sich. Mit Aufbringen all meines Willens zwinge ich meine Beine dazu noch einen Schritt zu gehen. Und noch einen. Einen nach dem anderen. Immer weiter. Doch dann wollen sie nicht mehr. Sie kriegen einfach nicht genug Sauerstoff um meinen Rucksack und mich noch weiter in die Höhe schleppen zu können. Meine Lungen brennen in der kalten Luft. Mein Rucksack wird mit jedem Meter schwerer und schwerer und reisst mich zurück nach unten. Die Fehlende Luft scheint sich zum Ausgleich als Blei im Rucksack zu manifestieren. Vielleicht damit ich hier oben nicht abhebe. Hier wo ich schon so weit in den Weltraum rage und Gefahr laufe ins All zu fliegen. Um das ganze zu überdenken gönne ich mir eine kurze Pause.
Papa kämpft sich trotz seiner Grippe und Schwäche tapfer weiter. Es ist unglaublich anstrengend. Doch plötzlich, da: Ein paar Fähnchen und eine winzige Hütte tauchen vor uns auf. Steinhügel beweisen das wir es tatsächlich geschafft haben. Wir sind auf der unglaublichen Höhe von 5'416 Metern angekommen. Jetzt wo wir den Pass endlich erreicht haben, kommt er uns gar nicht mehr real vor. Sind wir jetzt wirklich oben? Nach all der Anstrengung könne wir es kaum fassen.

Die andere Seite
Der Abstieg vom Thorong-La ist schliesslich ein Abenteuer für sich, weil sich Papas Schwächezustand weiter verschlechtert hat und wir schliesslich gerade noch eine Hütte erreichen können, bevor es bedenklich geworden wäre. Doch nach einer erholsamen Nacht und einem Ruhetag im heiligen Ort Muktinath fühlt er sich etwas besser und wir können die Reise gefahrlos fortsetzen.

Zuerst widme ich mich aber noch dem Computer im lokalen Internet-Cafe, da ich unbedingt ein paar Mails verschicken will. Vor allem an die hübsche Israelin Liat, die ich vor dem Pass kennen gelernt habe.

Zwei von drei Computern sind jedoch nicht mehr funktionsfähig. Nach einigen Stunden Viren-Entferung und Reparatur laufen sie dann aber doch wieder und ich komme durch meine Aktion zu ein paar kostenlosen Surf-Stunden. Leider erlebe ich nach dem verlassen des Internet-Cafés (inzwischen ist es schon elf Uhr nachts) eine böse Überraschung. Mein Guest House ist dunkel und ziemlich verriegelt. Auch heftiges Klopfen und rufen hilft leidlich wenig. Es bleibt verschlossen und ich selber wie bestellt und nicht abgeholt in der dunklen Gasse zurück. Und hier oben ist es zu dieser Stunde nicht gerade warm! Mir bleibt nichts anderes übrig als zum Internet-Café zurück zu kehren und dort in einem Not-Bett zu übernachten.
Mit dem Thorong-La scheint sich auch die Landschaft völlig gewandelt zu haben. Von üppiger Vegetation ist auf dieser Seite des Gebirges nicht mehr viel zu erkennen. Einzelne Büsche zieren die ansonsten kahle Landschaft und selbst die spärliche Vegetation scheint ständig um ihr Dasein zu kämpfen. Die Gegend erinnert mich sehr an den Fernsehfilm „Tim Taler“, den ich in meiner Jugend mal gesehen hatte. Die vulkanische Insel, auf welcher der Film teilweise spielte, war der kargen Wüstenlandschaft hier sehr ähnlich. Bizarre, von Wind und Wasser in die Felsen gefressenen Strukturen lösen sich mit kahlen, kegelförmigen Hügeln ab. Durchs ganze Tal weht ein scharfer Wind. Ein zottiger Yak-Bulle trottet einsam auf der staubigen Strasse dahin. Er wirkt wie der letzte, ungeliebte Teddybär auf dem kahlen Gestell eines Totalausverkaufs.
Papa ist zwar nicht mehr ganz so krank wie auf dem Thorong-La, aber immer noch nicht wirklich im Vollbesitz seiner Kräfte. Auch ich lese mir irgendwo in einer Lodge auf halber Höhe einen Käfer auf, der mir üble Bauchkrämpfe und Magendarm-Beschwerden einbringt. Nach einigem hin und her beschliessen wir eine Etappe aus zu lassen und mit dem Bus eine Strecke zu überbrücken.

Der gewählte Allrad-Bus schaukelt kurze Zeit später bedenklich nahe am Abgrund entlang. Die schlechte Naturstrasse ist stellenweise abgebrochen, bis inexistent und zu allem Übel durch kürzliche Regengüsse auch noch verschlammt. So schlingert und schlittert der Bus dem senkrechten Abgrund entlang und wir wagen kaum zu atmen. Wenn es ganz kritisch wird steigt ein Helfer aus und signalisiert dem Fahrer wie viele Millimeter er noch vom kiesigen Rand des Abgrunds entfernt ist. Mein panischer Geist zwingt mich rasend schnell Statikberechnungen durchzuführen, die das Gewicht des vollbesetzten Buses, die Kiesstrasse, den Schwerpunkt und irgend eine Senkrechte beinhalten. Noch während ich das Risiko des Absturzes in die fünfzig Meter tiefe Schlucht abzuschätzen suche, schlingern wir an der gefährlichen Kurve vorbei und sind in Sicherheit. Nur um ein paar hundert Meter Weiter das Vergnügen aufs neue geniessen zu können. Nach einer subjektiv unendlich langen Fahrt haben wir's endlich überstanden und halten neben der heissen Quelle von Tato Pani.

Von den heissen Quellen von Tato Pani über tausend Stufen nach Goropani
Dank diesem waghalsigen Schachzug erreichen wir unser Tagesziel schon vor dem Mittag. Wir kriegen Zimmer in der besten Lodge am Ort welche uns mit herrlichem Essen und netten Zimmern verwöhnt. Die örtliche heisse Quelle, auf nepalesisch „Tato Pani“, was auch dem Ortsnamen entspricht, trägt ebenfalls sehr positiv zu unserem Wohlbefinden bei. Nach einem heissen Bad fühlen wir uns schon fast vollständig wieder hergestellt. Papa konnte inzwischen dank der umfassenden Hilfe einer netten und sehr lustigen Ärztin – ich hatte mit ihr scherzhaft beraten dass wir Papa vielleicht einfach ein Duracell-Zäpfchen verabreichen sollten, damit er wieder zu Kräften kommt – die richtigen Medikamente erstehen und fühlt sich nun auch schon wieder viel besser. Dies ist auch nötig, denn nach dieser kurzen Erholungsphase brechen wir auf Richtung Goropani.

Über tausende von Stufen, welche von Meter zu Meter zu wachsen scheinen, mühen wir uns zum Ort Goropani. Da wir kurzfristig beschlossen haben heute eine doppelte Etappe zu laufen, sind wir nicht gerade früh unterwegs. Ausserdem ist der strenge Aufstieg selbst für unsere inzwischen gestärkte Kondition ziemlich kräfteraubend und wir kommen nur langsam voran. Eigentlich wären die grandiosen Rhododendron-Wälder durch welche die steilen Stufen führen ein überwältigender Anblick. Mir sind sie in diesem Augenblick ziemlich egal, da ich lediglich möglichst bald eine heisse Dusche und ein umfangreiches Nachtessen geniessen möchte. Genug ist genug!

Endlich erreichen wir den Pass. Entgegen unseren Erwartungen geht es hier zu und her wie an einem sonnigen Winterwochenende in Sankt Moritz. Tausende Touristen bummeln durch die Gassen und jede Lodge scheint zu bersten. Hallo? Haben wir etwas nicht richtig mitgekriegt? Gibt es eine Bus-Verbindung in diesen Ort?

Stühleklauen und Parfümwolken in Goropani
Wir kriegen gerade noch das letzte Zimmer in unserem Wunsch-Guesthouse und können sogar noch zwei weitere Zimmer für ein paar Deutsche Mädels organisieren, die wir auf den letzten Wanderungen kennen gelernt haben. Mit ihnen feiern wir dann auch gebührend den erfolgreichen Aufstieg, wobei unsere Anwesenheit viel Unmut bei einer grossen Deutschen Reisegruppe verursacht. Nachdem wir lange Zeit an einem Tisch gesessen sind, kommt ein Vertreter dieses „Alpenvereins“ auf uns zu und meint nur schnippisch: „Also hier ist reserviert“. Ich will aufbrausen und um unser (Schweizerisches) Recht kämpfen aber Susi, eine der drei Mädels mein nur: „Ach bei so einem Alpenverein lassen wir doch Gnade vor Recht walten und suchen uns einen anderen Platz, gell?“. Dabei grinst sie mich breit an und ich kann ihr nur prustend recht geben. Kurzentschlossen packen wir zumindest die bisher benutzen Stühle und tragen sie zu einem Tisch nebenan, wo wir es uns wieder gemütlich machen. Das wird dann vom Alpenverein auch deutlich und bewusst hörbar mit Sätzen kommentiert wie: „So eine Frechheit. Die haben uns UNSERE Stühle geklaut“. Willkommen zurück in der Zivilisation.

Im touristischen Goropani sind auch noch viele andere interessante Kulturen zu beobachten. Am deutlichsten fällt eine grosse russische Trecker-Delegation auf, die mit einer Unmenge Gepäck – und dementsprechend auch einer Unmenge Trägern – angereist ist. Die holden Damen der Runde sind aufgeputzt als besuchten sie einen Gala-Dinner. Designer-Abendkleider, High-Heel Schuhe und schmucke D&G Handtäschchen. Ein ziemlich ungewohntes und auch etwas unpassendes Bild auf dieser Höhe. Das ganze wird von einer umfassenden Parfümwolke blumig ergänzt, die der russischen Gruppe eine nachhaltige Note verpasst. Wir riechen, grinsen und staunen.

Etwas später werden wir bei einer anderen Gruppe junger Russinnen die Gelegenheit haben etwas mehr über Russen in Nepal zu erfahren. Die Gruppe ist mit Victor unterwegs. So etwas wie ein Reiseleiter und einziges, auffallendes männliches Wesen in der Gruppe junger Russinnen. Victor erinnert mich sehr an den Film Nikita mit Jean Reno, der darin ebenfalls die Rolle des Victor spielte. Ein Profi-Killer, der immer gerufen wurde wenn es brenzlig wird.. Sein Motto: „Ich bin Victor, ich mache hier sauber!“. Unser Victor hier ist ebenfalls sehr freundlich und spielt hilfsbereit den Übersetzer. Ich frage die Russinnen, was die Russinnen denn von den Schweizern wissen. Zuerst grinsen sie nur und wollen gar nicht damit heraus rücken. Irgendwann traut sich dann doch eine: „Es gäbe da ein Buch über eine Brasilianerin von Paulo Cohelo. Es heisse „Eleven Minutes“ und handle von den Schweizern“. Ich will wissen was sich denn hinter dem geheimnisvollen Titel verberge. „Nun ja, die Brasilianerin behaupte, dass mit Schweizern immer alles nach elf Minuten vorbei sei. Für das seien die Schweizer nun in Russland berühmt“.

Am nächsten Tag bekommen wir die Ausmasse dieses plötzlich so überlaufenen Touristen-Ortes voll zu spüren. Zwischen hunderten anderer Wanderbegeisterten versuchen wir irgend wie einen normalen Gehrhythmus zu finden. Vor uns die russischen Tundra-Trotter die alle paar Meter stehen bleiben um Fotos von Sich, von Sich mit Freundin, von Sich mit Berg hinten dran, von Freundin mit Berg hinten dran und von der ganzen Gruppe zu machen. Natürlich mehrfach und abwechselnd, was bei einer Gruppe von dreissig Russen zu praktisch ständigen und umfassenden Stockungen führt. Hinter uns eine Herde spanischer Pamplona-Runner, denen es nicht schnell genug gehen kann, uns ständig fast auf die Schuhe treten und deutlich in Spanisch zu verstehen geben, warum wir denn dauernd stocken würden. Aber wir KÖNNEN ja auch nicht schneller gehen, weil die Tundra-Trotter vor uns erst ihre Fotos fertig schiessen müssen. Da wir aber kein Spanisch und die Spanier kein Englisch können, bleibt die Situation weiter gespannt und wir im dichten Rhododendron-Wald eingesperrt.

Das einzige was uns an diesem Morgen erspart bleibt ist der Deutsche Alpenverein. Vermutlich sitzen die immer noch beim umfassenden Frühstück und diskutieren die Umverschämtheit dieser beiden Schweizer die ihnen gestern IHRE Stühle geklaut haben. Wir wundern uns eh warum bei dem ganzen Völkergemisch keine Japaner dabei waren. Erst einige Stunden später, während des steilen Abstiegs, löst sich dieses Rätsel. Die Japaner kommen uns nämlich alle entgegen. Freundlich grüssend. „Namasteee, namasteee, namastee, namastee...“, bis die ganze, weiss behandschuhte Gruppe vorüber ist. Es scheint als machen die Japaner auf dem Annapurna einfach alles verkehrt rum. Und wie in so vielem dadurch vielleicht sogar besser als wir. Jedenfalls haben sie nicht mit Tundra-Trottern, Pamplona-Runnern und dem Deutschen Alpenverein zu kämpfen!

Kulturstudie im Himalaja
Weil wir gerade dabei sind: Im Himalaja prallen die verschiedensten Kulturen aufeinander und Multikulti-Zoo ist schon alleine einen genaueren Blick wert. Natürlich will ich hier nicht verallgemeinern und beschreibe nur rein subjektive und selbstverständlich übertriebene Eindrücke, die während der zwei Monate im Himalaja entstanden sind.
Da waren zuerst die eben beschriebenen Japaner, die einem immer sehr freundlich und mit lautem „namasteee“ begegneten. Stets eingewickelt in Tücher und meist eben mit netten weissen Handschuhen. Wie Dirigenten mit allerdings etwas wuchtigen Stöckchen. Zu den Mahlzeiten wurden sie von zahlreichen Guides bedient, welche ihnen einen netten Tisch, mit Tischdecke, Tellern, Besteck, Servietten und allem was in einem vornehmen Restaurant dazu gehört, bereiteten. Ihre Mahlzeiten bestanden aus einem breiten Mix von Zutaten, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Aus diversen Plastikbeuteln und Bechern bereiteten sie sich Mahlzeiten auf Basis von kochendem Wasser. Die Zutaten, bestehend aus grünem Tang, roter Wolle, durchsichtigen Nudeln, gelben Fäden und vielen weiteren seltsam farbigen Dingen wurden dann darin gegart. All das direkt am Tisch und indem sie von der Küche nur die nötigen Frischprodukte wie Gemüse und eben heisses Wasser bestellten.

Die Deutschen gingen das Trecking - neben den Ergüssen des beschriebenen Alpenvereins - eher nüchtern und sachlich an. So beschwerte sich eine Treckerin bei ihrem Freund am Abend doch deutlich, „dass sie mit der Gesamtsituation nicht zufrieden sei“. Ein deutscher Trecker begegnete mir, als ich jubelnd vom Gipfel des Kala Pattar kam nur: „Das war ja noch gar nichts! Da solltest du mal sehen was weiter oben abgeht! Da gehts erst richtig los!“. Und natürlich trafen wir auch eine ganze Menge sehr angenehmer und lustiger Deutscher Trecker, wie zum Beispiel unsere drei Norddeutschen Mädels in Goropani. Nicht das hier ein falsches Bild entsteht!
Die Israelis beobachteten wir oft beim täglichen Abrechnungs-Ritual. Sämtliche konsumierten Speisen und Getränke einer israelischen Gruppe wurden dabei peinlich genau kontrolliert, den entsprechenden Konsumenten zugeordnet und von diesen verursachergerecht bezahlt. Meist ging dieses Ritual ziemlich lange und wurde von umfassenden Diskussionen begleitet.
Einige Israelis haben sich bei uns über ihren generell schlechten Ruf bei der lokalen Bevölkerung beklagt. Teilweise konnten wir die Auswirkungen sogar selber beobachten. Zum Beispiel als die attraktive Israelin Liat ein Zimmer einfach mit der Begründung nicht erhielt, es sei schon reserviert. Papa bekam das Zimmer aber sofort (und OHNE Reservation), als er einige Minuten später danach fragte.

Die Russen gehörten mit zu den spannendsten Erscheinungen des Himalaja-Tourismus. Für Hochgebirgs-Trecker konsumierten sie doch erstaunliche Mengen an Alkohol und Tabak. Eine russische Treckerin verriet uns dann auch, das sie mit dem Trecking gar nicht zufrieden sei: „Alles kaputt! Beine kaputt, Ferien kaputt, Geld kaputt. Scheiss Trecking! Und Massage? Nepalis nur winzig kleine Finger und machen nur kitzelkitzelkitzel!“

Über Spanier kann ich an dieser Stelle nicht viel sagen, da eine Unterhaltung mit ihnen nie stattgefunden hat. Sie trotten in abgeschlossenen Gruppen, in erstaunlicher Geschwindigkeit und meist ohne ein Wort nach aussen zu richten vor sich hin. Spanische Gruppen scheinen so etwas wie ein Schweigegelübde abzulegen bevor sie ihr Land verlassen. Irgendwie kamen sie mir ziemlich Spanisch vor.

Das Pure Gegenteil davon sind die Franzosen, die zwar vieles oft als eine Art Wettbewerb verstanden („Wieviel sait ihr heute gelaufän?“), aber sonst ganz gesellige Mittrecker waren. Genau wie die Holländer, mit denen wir die wohl umfangreichste Reisebekannt-schaft schlossen.

Was die Nepalesen betrifft war ich sehr positiv angetan von diesen äusserst freundlichen und liebenswerten Menschen. Zwar sind mir ihre Ansichten was Hygiene anbelangt doch etwas fremd – Spaghetti gehören nachdem sie auf den speckigen Küchenboden gefallen sind einfach nicht mehr zurück auf den Teller... jedenfalls nicht auf meinen! - aber man muss ja nicht alles einer fremden Kultur vollständig verstehen, oder?

Und wir Schweizer? Ich sage nur: „Eleven Minutes!“.

Das Ende und ein neuer Anfang
Nach diesen umfangreichen Kulturstudien machen wir uns auf den Weg weiter nach unten. Mit Goropani ist auch die Vegetation zurückgekehrt. Wir klettern und rutschen durch ausgedehnte Urwälder, oft aus riesigen Rhododendren bestehend. Noch nie habe ich solch grosse Rhododendren gesehen! Dazwischen wilde Schlingpflanzen und tief hängende Flechten. Der Wald ist so dicht, das wir uns darin verlaufen und nur dank Zurufen einiger weiterer Trecker – diesmal sind wir froh sind davon hier so viele unterwegs – wieder zurück finden.
Nach dem Urwald wiederholt sich die Landschaft wieder. Die Strecke vor dem Thorong La erscheint vor uns in reverser Ordnung. Erst Terassen mit Mais, dann Reis und immer mal wieder Apfelbäume. Die weissen Spitzen der Annapurna-Riesen verschwinden in der Ferne hinter uns. Der Kreis schliesst sich. Nur eines bleibt die ganze Strecke über gleich: Die Raben. Überall haben sie uns ausgelacht und selbst jetzt, wo wir zufrieden und glücklich in den Tiefen des Annapurna-Tals ankommen, finden sie das bestenfalls lachhaft und verhöhnen uns wieder einmal kräftig mit ihrem „Haaa haaaa“.

Ehe wir es versehen sind wir am Ende unserer Annapurna-Rundwanderung angelangt. Wir entspannen uns einige Tage in Phokara, einem schönen – wenn auch recht touristischen - Ort am See. Es kommt uns seltsam vor, nach all dieser Zeit in den Bergen wieder mitten in der Zivilisation zu stehen. Und noch viel mehr können wir uns noch nicht ganz vorstellen, das dies erst die Hälfte unseres Abenteuers war. Nochmals in die Kälte? Nochmals die ganzen Entbehrungen, all den Schweiss, die Anstrengungen, die dünne Luft? Klar, warum auch nicht! Auf ins nächste Abenteuer!

Mit Condra zum Mount Everest
Papa beschliesst für die zweite Tour einen „Porter-Guide“ zu engagieren. In seiner Funktion hat dieser Guide zum einen die Aufgabe uns den richtigen Weg zu weisen und uns auf alles nötige Aufmerksam zu machen, zum andern wird er Papas Gepäck tragen. Unser Guide „Condra“ kann das zweite sehr gut. Das erste dafür praktisch überhaupt nicht. Er entpuppt sich nach den ersten Tagen als leidlich unerfahren und seine mangelnden Englischkenntnisse machen die Kommunikation nicht ganz einfach. Meistens erwidert er auf unsere Fragen einfach nur „Papa... and you, you know,... no problem!“. Wir „wissen“ aber nicht und es ist manchmal durchaus „a problem“, was wir ihm aber nicht wirklich erklären können. Wie es das Schicksal so will, treffen wir jedoch schon bald auf das Holländische Pärchen Lenneke und Hans mit ihrem erfahrenen Guide Govinda, den sie nur den „General“ nennen. Seine Zackige Art hat ihm diesen Namen eingebrockt. Glücklicherweise ist er ist sonst aber sehr umgänglich und dazu auch noch äusserst gut informiert und professionell. Und vor allem: Er spricht Englisch und kann Condra unsere Wünsche übermitteln.

Die nächsten Tage sind wir also mit Lenneke und Hans unterwegs. Wir lachen viel und geniessen die entspannte Zeit zusammen. Anfangs wiederholt sich der Annapurna-Treck, was das Landschaftsbild anbelangt. Auch hier wandern wir durch eine beachtliche Zahl von Terassenfeldern mit Reis. Im Gegensatz zum Annapurna geht es jedoch gleich hinter Jiri kräftig rauf und runter. Nichts mehr mit gemütlichem Annapurna-Trotten. Hier gelten die harten Regeln des Mount Everest. Tausende Meter klettern wir rauf ums sie nur kurz hinter dem nächsten Pass gleich wieder hinunter zu stapfen. Rauf auf Deorali (2'710 Meter), runter auf Kinja (1'620 Meter), rauf auf den Lamjura La (3'530 Meter) und runter auf Junbesi (2'650 Meter). Und so weiter, bis Namche Bazar. Erst ab da geht es dann endlich nur noch rauf, was paradoxerweise angenehmer zu laufen ist.

Papa und ich halten uns auf dieser zweiten Wanderung ständig gegenseitig den Spiegel vor. Wir erkennen unsere Ähnlichkeit, aber nicht immer welche Aspekte davon wir selber und welche von unserem Gegenüber sind. Die innerfamiliäre Reflektion ist ungewohnt in dieser Intensität und manchmal schwer zu erkennen. So vieles scheinen wir gegenseitig in einander zu projizieren ohne es zu merken. Glücklicherweise geraten wir dabei nie wirklich aneinander und erreichen Namche Bazar ohne wesentlichen Streitereien. Die Notfallpläne bleiben weiterhin in der Schublade, beziehungsweise in der Rucksack-Aussentasche, und Papa und ich weiterhin gemeinsam auf dem Weg zum Gipfel. Und noch etwas interessantes stellen wir auf dem Weg nach Namche Bazar fest: Alle Katzen in Nepal sind grau!

Auf dem letzten Stück vor Namche Bazar treffen wir auf all die anderen Trecker die nicht wie wir hierher gewandert, sondern mit dem Flugzeug nach Lukla geflogen sind. Ab jetzt kämpfen wir mit einem unablässigen Strom von Everest Treckern, die so manche Herberge förmlich überfluten. Da es kein fixes Kontingent für Treckings ins Everest-Gebiet gibt, wird die Zahl der Besucher von nichts und niemandem reguliert. Sind sie erst einmal hier oben, bringt sie so schnell nichts mehr von hier weg. Bei schlechten Wetter können die Flugzeuge in Lukla nicht mehr starten. Wer dann hier oben fest sitzt, ist manchmal für Tage gestrandet. Mit hunderten anderer Nepal Trecker zusammen, die auch auf einen Flug warten.

Die übermässige Zahl der Trecker ist jedoch nur ein problematischer Aspekt. Es scheint, als sei in den letzten Jahren Trecken im Everest-Gebiet so etwas wie eine Trendsport geworden. Für Jedermann und Jedefrau. Egal in welchem Alter und in welcher körperlichen Verfassung. Wir haben Trecker beobachtet, die selbst für einfachste Übergänge - und erst recht für steile Abschnitte - fremde Hilfe benötigten. Manche Trecker mussten auf die Pässe förmlich getragen werden. Im lebensfeindlichen und nicht ganz ungefährlichen Himalaja ist solch eine Voraussetzung zumindest fraglich. Ein Treck im Himalaja ist kein Sonntagsspaziergang und schon gar keine Kaffeefahrt. Schliesslich gehen Nichtschwimmer auch nicht tauchen, oder?
Noch viel gefährlicher, manchmal sogar lebensgefährlich, ist das Verhalten grosser Trecking-Gruppen, deren Mitglieder teilweise mit dem strammen Tagesprogramm völlig überfordert sind. Dank Gruppendruck, Zeit- und Leistungszwang werden diese Trecker jedoch jeden Tag weiter in die Höhe geschleppt, bis sie manchmal entweder völlig zusammen brechen oder wenn es ganz schlimm kommt gar sterben. Auf fünftausend Meter Höhe ist dies leider schneller der Fall als vielen Treckern bewusst ist. Mit intelligentem und respektvollem Verhalten den Gefahren der wilden Bergwelt gegenüber hat dies jedenfalls wenig zu tun. Zu einfach ist es geworden die Höhen des Himalaja zu erreichen. Unsere Technik in Verbindung mit einer übermässigen und ignoranten Lust auf die letzten Abenteuer dieser Welt hat uns einen Streich gespielt. Einen gefährlichen Streich.

So stapfen wir also, neben hunderten anderer Trecker, weiter in Richtung Gokyo Ri, dem ersten Gipfel unserer Everest-Tour. Abgesehen vom übermässigen Besucher-Strom ist dieses Gebiet des Himalaja wirklich einmalig. Wir befinden uns mitten in den Achttausendern, allen voran dem gewaltige Mount Everest und seinem Bruder Lhotse. Noch fast mehr sind wir jedoch vom Ama Dablam fasziniert, der dank seiner eindrücklichen Form immer wieder deutlich ins Auge sticht. Wie das Matterhorn lugt er ständig irgendwo hervor.

In Macherma ist fertig lustig. Wir sitzen bei Minustemperaturen im Nebel. Über Nacht hat es sogar etwas geschneit und wir bürsten unsere Zähne im verzuckerten Innenhof unserer Schlafstätte. Der Nebel hängt tief im Tal und die Kälte fährt uns in die Glieder. Zusammen mit der Dünnen Luft eine wirklich unangenehme Mischung um morgens aus dem Schlafsack zu kriechen. Dabei ist gerade hier, auf der letzten Route vor dem Ort Gokyo, das Bergpanorama ganz überwältigend. Wir sind ob des dichten Nebels ziemlich frustriert, marschieren aber trotzdem tapfer los, einen steilen Stich hoch und über einen ersten Pass. Und plötzlich wird es hell. Durch ein kleines Loch im dunklen Grau scheint uns ein weisser Gipfel entgegen und verschwindet nach wenigen Sekunden auch schon wieder. Doch dann reisst der Himmel hinter unserem Rücken auf und präsentiert und das leuchtende Bild eines anderen Bergriesen. Auch dieser verschwindet sogleich wieder, nur um in einer anderen Ecke unseres Blickfeldes einem weiteren Protagonisten das Feld zu räumen. Es ist ein unbeschreibliches Schauspiel der Giganten. Eins ums andere werden sie sichtbar, die Riesen des Everest Massivs.

Wir klettern höher und erreichen Gokyo. Von hier werden wir morgen früh zum Gipfel Gokyo Ri aufbrechen. Leider ohne unsere holländischen Freunde. Lenneke verspürt seit heute Nachmittag immer stärkere Kopfschmerzen. Ein deutliches Signal der gefährlichen Höhenkrankheit. Unsere Freunde beschliessen am späten Nachmittag den Abstieg um ein paar hundert Meter und werden den Aufstieg morgen erneut versuchen.

Die Morgensonne kriecht gerade über den beigen Hang mit seinen leuchtend roten Büschen als wir zum Gipfel aufbrechen. Auch diesmal wird das Klettern über fünftausend Metern zur Qual. Da wir aber kein Gepäck dabei haben, fällt mir selber der Aufstieg trotzdem wesentlich leichter als auf dem Thorong-La. Schon nach verhältnismässig kurzem Aufstieg erscheinen am oberen Hang die farbigen Gebetsfahnen und markieren den Gipfel. Noch einmal tief durchatmen, kräftig in die Schuhe treten und es ist geschafft. Wir stehen zuoberst auf dem Gokyo-Ri auf 5'377 Metern. Hier geniessen wir die wohl atemberaubendste Aussicht des ganzen Everest-Gebietes. Das Bergpanorama der Giganten ist von hier in seiner vollen Pracht zu erkennen. Einer neben dem andern und einer höher als der andere. Jeder für sich würde einen Alpen-Gipfel wie ein Heinzelmännchen erscheinen lassen. Ja man würde ihn daneben nicht einmal erkennen, da wir auf unserem Aussichtsplatz schon einiges höher als die Spitze des Mont Blanc sind.

Zurück und dem Abgrund entlang
Wir müssen zurück. Und zwar ein ganzes Stück. Wir hätten zwar die Alternative über einen Pass Richtung Kala Pattar zu gehen, unserem nächsten und letzten Gipfel-Ziel, aber der Pass gilt als äusserst anstrengend und schlecht markiert. Ausserdem wären wir mehrere Tage über 4'500 Metern Höhe, was sich sowohl auf den Schlaf als auch auf die Konstitution ziemlich negativ auswirkt. So beschliessen wir statt dessen einen Umweg ins Tal und einen erneuten Aufstieg Richtung Lobuche in Angriff zu nehmen.

Der Anfang klappt gut. Wir erholen uns in den tieferen Höhen schnell von den Strapazen, geniessen nach Tagen endlich wieder einmal eine Dusche und machen uns erneut auf den Weg nach oben. Diesmal spielt sogar das Wetter mit. Die Herausforderung liegt jedoch im Weg. Kilometerlang führt er dem steilen Abgrund entlang und Geländer scheinen es offensichtlich noch nicht bis in diese Höhen geschafft zu haben. Wir müssen dem Abgrund endlang balancieren. Papa stapft wacker voran und ignoriert die hundert Meter die es neben ihm senkrecht ins Tal geht. Ich dagegen krieche schwitzend dem Fels entlang und weiss gar nicht wohin ich dabei meinen Blick richten soll. Auf keinen Fall nach unten!

Nach einigen Stunden ist es überstanden. Wir sind in Pangboche. Hier hat uns unser Guide Condra eine tolle Lodge vorgeschlagen. Er ist voraus geeilt um uns zwei Zimmer zu reservieren und will dort auf uns warten. Als wir bei der Lodge ankommen wartet nur Papas Rucksack auf uns. Condra ist verschwunden. Offensichtlich ist er zurück geeilt um uns entgegen zu eilen, hat uns aber verpasst. Schöne Bescherung! Irgendwann wird er uns schon wieder finden. Wir fragen also nach den zwei Zimmern und erleben eine nette Überraschung. „Yes sir, hundred and twenty dollar per room and night“. In den bisherigen Lodges hätten wir mit diesem Geld wohl ein halbes Jahr übernachten können! Offensichtlich gibt es auch in dieser Höhe noch ziemliche Klassenunterschiede. Wir verabschieden uns dankend grinsend und suchen uns nun selber ein Guesthouse. Für einen Bruchteil des Übernachtungspreises, versteht sich.

Condra findet uns tatsächlich irgendwann wieder und zusammen stossen wir immer weiter in die Höhen des Everest-Gebietes vor. Beim letzten Übernachtungsort Lobuche durchqueren wir die Gedenkstätte vieler verunglückter Everest-Besteiger. Mit Bestürzung betrachten wir die vielen Steintürme und Gedenk-Tafeln. Wieder wird uns bewusst wo wir uns eigentlich befinden. Wir verlassen diese triste Stätte bald und erreichen Lobuche. Leider hat Condra uns hier nur zwei Zimmer in der wohl schlechtesten Lodge des Ortes reservieren können. Ein Bretter- und Wellblechverhau mit einer albtraumhaften Toilette. Das Gebäude scheint bei jedem Schritt durch den Gang zusammen zu brechen. Der nächtliche Wind findet im Verhau reichlich Löcher durch die er in unsere eh schon kalten Schlafsäcke fahren kann und das Essen ist nicht gerade überwältigend. ABER, wir sind unglaublich nahe am Mount Everest und der Blick durch das dürftige Fenster auf den Achttausender lassen uns selbst die widrigstes Umstände vergessen.
Nach einer kalten, knarrenden Nacht brechen wir in den frühen Morgenstunden zum Gipfel auf. Heute werden wir den höchsten Punkt unserer zweimonatigen Himalaja-Tour erreichen. Den Kala Pattar. Diesmal beginnt die Besteigung des Gipfels freundlich. Ein sanft steiender Pfad über einen sonnigen, mit bräunlichem Gras bewachsenen Bergrücken weist uns den Weg zum Gipfel. Wir passieren die fünftausend Meter Grenze ohne wesentliche Schwierigkeiten und sehen auch schon weit oben die Gebetsfahnen des Gipfels. Doch nun wir der Weg steiler und die Felsen darauf immer grösser. Bald ist es mehr Klettern als Wandern und das auf einer Höhe in der schon jeder Schritt eine Herausforderung ist. Interessanterweise macht mir diesmal jedoch die Höhe nichts aus. Im Gegenteil, ich verfalle halb einem Höhenrausch. Ich will nur noch da rauf und anstatt langsamer zu werden beschleunigt mein Körper das Marschtempo. Kraxelnd und hetzend strebe ich dem Gipfel entgegen. Meine Lungen scheinen zu explodieren doch ich spüre sie gar nicht mehr. Ich bin gefangen im Rausch. Ich sehe nur noch den Gipfel und klettere immer weiter. Über glatte graue Felsen. Ich keuche dampfend vor mich hin. Die Luft ist hier trotz des Sonnenscheins bitter kalt. Die Gebetsfahnen kommen näher. Ich kriege kaum noch Luft, gebe aber nicht auf. Weiter. Nur noch ein paar Meter. Und ehe ich es mir wirklich bewusst werde bin ich auch schon oben und kollabiere fast. 5'646 Meter. Unglaublich! Langsam sehe ich wieder klarer und erblicke den riesigen Mount Everest vor mir. Zusammen mit seinem weissen Bruder Lohtse beherrscht er die Szene und lacht mir mit seiner schwarzen Spitze entgegen. Wir haben es geschafft! Wir sind oben! Höher als wir je waren. Näher am Himmel als je zuvor. Wir sind Glücklich es geschafft zu haben. All den Strapazen und Widrigkeiten getrotzt zu haben. Es zusammen und gesund feiern zu können. Was für ein Erlebnis. Was für ein Anblick. Ja wir sind glücklich! Und wir sehen einen Raben. Er gleitet geschickt im Aufwind dahin und bewegt sich kaum. Und er schweigt.

Mittwoch, 24. September 2008

Zwei Monate offline


Taj Mahal
Originally uploaded by hobbes_ch
Nach einem Besuch beim faszinierenden Taj Mahal gehts nun weiter nach Nepal. Da die hoechsten Berge der Welt nicht gerade mit Intenet-Cafes gespickt sind und ich ausserdem keine Lust habe einen Computer bis auf 6'000m Hoehe zu schleppen, werde ich bis ca. November erst mal offline sein.

In der Zwischenzeit wuensche ich Euch allen einen schoenen Herbstanfang und bis bald mit neuen Fotos und Abenteuern aus dem Himalaya.

Euer Globetrotter

Sonntag, 21. September 2008

Im Ashram


Butterfly
Originally uploaded by hobbes_ch
Eine Wolke Schmetterlinge hüllt mich ein als ich den Jeep verlasse. Sie führen mich geradewegs zu einem überwachsenen Tor auf dem „Phool Chatti Ashram“ steht. Zikaden zirpen ihr aufdringliches Lied welches sich immer wieder bis zu einem Crescendo aufschwingt, dann eine Kurze Pause einnimmt, nur um das sich ewig wiederholende Konzert von neuem zu beginnen. Etwas weiter weg hört man deutlich das Rauschen des Ganges welches nur von gelegentlichen Vogelschreien übertönt wird.

Ich betrete den Innenhof der Anlage. Überall stehen Topfpflanzen. Ein grüner Garten, eingerahmt von leicht renovationsbedürftigen Mauern. Und renoviert wird gerade, wie ich dem Hämmern und Schleifen, Bürsten und Malen entnehme. Bald beginnen die öffentlichen Yoga-Kurse. Da will man vorher nochmals alles piekfein herausputzen.
Das Ashram erweckt den Eindruck einer freundlichen Pension mit riesigem Garten, der aber so dicht mit Bäumen besetzt ist, dass er nahtlos in die Umgebung übergeht. Nur getrennt durch eine niedere Mauer. Dahinter ragen steile Felshänge auf, welche das Tal hier begrenzen. Der Ganges, der hier wie ein breiter Wildbach daher kommt, rauscht nur hundert Meter weiter durchs Tal. Das Bachbett beginnt jedoch direkt vor dem Ashram. Vermutlich kann der jetzt gemässigte Fluss ganz schön anwachsen, wenn die Regenfälle des Monsuns in übermässig nähren. Am anderen Ufer steigt die Böschung steil an und ist hier dicht bewaldet.

Im Innenhof begrüsst mich die indische Form eines Samichlauses herzlich. Er ist kein Inder, wie ich sehe, obwohl er mit dem langen Bart und seinem Turban leicht mit einem verwechselt werden könnte. Er stellt sich als „Guru Sant“ vor, was ich mir nie werde merken können. „Du kannst mich auch einfach Sadi nennen“ und bietet mir einen Stuhl an. Neben den zahlreichen Handwerkern entdecke ich eine Inderin in wallendem orangen Sari, ein ebenfalls orange gekleideter zweiter Guru (indischer Abstammung) und ein älterer Herr anwesend, der allem Anschein nach der Besitzers der Anlage zu schein seint.
Sadi erklärt mir die Anlage und weist mich auf die einfachen Regeln hin. Ashrams haben manchmal ziemlich umfassende Richtlinien die zu beachten sind. Im Phool Chatti Ashram hält man es recht locker. Gegessen wird in der Gruppe und zwar um acht Uhr, zwölf Uhr dreissig und neunzehn Uhr dreissig. Dazwischen gibt es Tee um zwei und einen Indischen Gottesdienst um sieben, der aber freiwillig ist. Während dem Essen darf nicht gesprochen werden und die „Tenu“-Regel schreibt mindestens Shorts und Tshirt für Männer, Schulter und Bein bedeckende Kleidung für Frauen vor. Alles annehmbar, finde ich und lasse mir von Guru Sadi mein nettes Zimmerchen zeigen. Für dreihundert Rupien (etwa vier Franken) pro Tag inklusive aller Mahlzeiten kann man nichts sagen. Ich bin happy!

Essen im Lotus-Sitz
Ein Gong kündig die erste Mahlzeit an. Da ich keine Ahnung habe wie das hier abläuft, stelle ich mich einfach schüchtern in den Hof. Von überall kommen Inder mit rostfreien Tellern und Tassen gelaufen und setzten sich in den rechteckigen Essraum. Tische gibt es nicht. Nur zwei lange Matten die als Sitzgelegenheit den Wänden entlang ausgebreitet wurden. Alle setzen sich in zwei Reihen hin, die Teller und Tassen vor sich gestellt. Ich erhalte auch einen der einheitlichen Teller und setze mich irgendwo dazwischen. Die Inder sitzen alle in der Lotus-Stellung, also mit seitwärts angewinkelten Beinen, die Füsse jeweils auf dem Oberschenkel des gegenüberliegenden Beines.

Ich versuche es unter deutlichen Schmerzen ihnen gleich zu tun, komme aber auf keinen grünen Zweig. Wenn ich die Beine so anwinkle wie sie, kann ich mich nicht mehr aufrecht hinsetzen. Tue ich es nicht, stehen mir meine Knie im Weg und ich komme nicht mehr an den Teller ran. Unter deutlicher Anstrengung und einigen reichlich unreligiösen inneren Flüchen schaffe ich das eine Bein anzuwinkeln und das andere irgendwie auf die Seite zu biegen. So komme ich – wenn auch unter Schmerzen - fast an den Teller ran, der inzwischen mit diversen gelblichen und beigen Saucen, zwei Giabattis und Reis gefüllt wurde. Gegessen wird jedoch noch nicht. Man wartet auf irgend etwas. Plötzlich murmelt die Inderin im orangen Sari etwas laut vor sich hin und alle andern – ausser ich – antworten in Hindi auf den Singsang. Das war das Zeichen, man isst.
Ich versuche mich über die Speisen zu beugen um nicht alles vollzukleckern. Es geht nicht. Unmöglich. Ich bin nicht gelenkig genug und muss meinen Löffel in einem weiten Bogen vom Teller bis zum Mund führen. Natürlich versaue ich dabei nicht nur den Boden, sondern auch meine ganzen Beine. Mit peinlich verzogenem Gesicht schiele ich um mich, ob meine unprofessionelle Esstechnik von den Indern bemerkt wurde. Glücklicherweise sind alle andern nur eifrig mit ihren eigenen Tellern beschäftigt und keiner scheint meinen Fauxpas bemerkt zu haben.

Nach dem Essen kann ich zum Glück im Ganges baden und so die Spuren meiner alternativen Esstechnik den Göttern opfern. Das herrliche Nass riecht hier ausnahmsweise nicht und ist wunderbar erfrischend. Ein kleiner Sandstrand lädt zum faulenzen ein und die himmlische Ruhe verleiht dem Ort etwas magisches. Die Schmetterlinge sind auch hier allgegenwärtig. Wie Farbspritzer zieren sie das Ufer in den schillernsten Farben. Noch nie habe ich eine solche Menge unterschiedliche Schmetterlinge an einem Ort beobachtet. Wo so viele Schmetterlinge sind, kann es nichts böses geben, denke ich mir und pflanze mich auf meinem Handtuch in den warmen Sand. Morgen werde ich den berühmten Wasserfall hier in der Nähe erkunden!

Unter dem Wasserfall
Ein steiler Pfad führt mich in Mäandern den dicht bewaldeten Hang hinauf. Orange Pilze überziehen modrige Baumstümpfe die sich am Wegesrand still vor sich hin zersetzen. Die noch tief stehende Sonne wird vom linken Bergrücken abgeschirmt, doch die Luft ist trotzdem sehr warm und extrem feucht. Schnaufend und dampfend erreiche ich eine Weggabelung, an welchem ein hilfsbereites Individuum ein Kartonschild gebastelt hat, welches mich unbedingt nach rechts auf einen kleinen Morastpfad locken will. Jedenfalls wenn ich zum „W F“ will, was ich mit „Waterfall“ interpretiere. Ich vertraue dem Wegweiser und stapfe den feuchten Pfad entlang. Bald schon wird der Weg nicht nur bedeutend steiler, sondern zur zusätzlichen Herausforderung auch noch bedeutend glitschiger. Aus dem Morast wird hier abgerundeter Stein und zwar in solcher Gestalt, das die Schuhe auf keinen Fall Halt darin finden. Im Geiste sehe ich plötzlich Inder mit grossen Saugnäpfen an den Füssen die den Pfad locker barfuss erklimmen. Europäer in Wanderschuhen wie ich gleichen bei der selben Übung mehr einem Goofy in einem Zeichentrick der auf Glatteis läuft. Heftiges Rudern mit den Armen und unterdrückte Schreie helfen auch nicht viel um Höhe zu gewinnen und die Einzige Hilfe in der prekären Situation ist ein kleiner Bach, der mir nun plötzlich über den „Weg“ entgegen fliesst. Der Bach macht die Passage endgültig unpassierbar, es sei denn, man entwickle sich ein paar Millionen Jahre rückwärts und wechsle wieder in eine vierbeinige Gangart. Mit den Händen im dornigen Gestrüpp links und rechts vom Weg und mit den Füssen wild rudernd komme ich in bescheidenem Tempo voran und erreiche nach einiger Zeit tatsächlich den gesuchten Wasserfall. Dieser verschlägt mir zwar nicht gerade den Atem (dafür haben wir in der Schweiz einfach zu viele davon und erst noch um einiges grössere... aber man soll ja nicht vergleichen!) ist aber trotzdem ganz nett. Glücklicherweise habe ich vorgesorgt und bin bereits mit Badeshorts bewaffnet.

Fünf Minuten später stehe ich jubelnd unter dem kühlen Nass, das von ziemlich weit oben auf meinen Rücken donnert. Die Massage ist entsprechend heftig und erinnert mich sehr an die Düsen im heimische Solbad. Ausser das man hier nicht achtzehn Franken die Stunde dafür bezahlt!


Den Nachmittag verbringe ich am nahen Sandstrand am Ganges. Ich hätte wirklich nicht erwartet, das ich einmal Strandferien am Ganges verbringe, doch das kühle Nass und der herrlich feine Sand ist etwas vom besten was ich in Indien bisher gefunden habe. Zu verlockend um es nicht zu nutzen, auch wenn dabei die geplanten Meditationsübungen etwas kürzer treten müssen. Ich erfinde also kurzerhand die indische Strand-Meditation welche ganz einfach mit einem Handtuch und einem iPod durchgeführt werden kann und meditiere fleissig.

Natürlich kann ich trotz Meditation nicht lange ruhig liegen und erinnere mich bald der putzigen Steintürmchen, welche im Tessin so populär sind. Hier habe ich noch keinen einzigen dieser Türme gesehen. Etwas Kulturaustausch kann nicht schaden, sage ich mir, und ein paar Stunden später steht ein mannshoher Steinturm vor mir. Ich bin zufrieden mit meinem heutigen Tageswerk. Ein unbezwingbarer Wasserfall bezwungen, viel meditiert und einen Steinturm gebaut. Was will das Globetrotter-Herz mehr!

Neue Begegnungen
Im Ashram treffe ich auch auf verschiedene andere Reisende, die mehr oder weniger lang hier abgestiegen sind und das Leben in der ruhigen Kommune geniessen. Da wäre die amerikanische Masseurin, die aber bereits in über vierzig anderen Berufen gearbeitet hat – meisst gleichzeitig wie sie erläutert. Oder das israelische Pärchen, er Börsenmakler, sie Ärztin, welche bereits vor mir die glitschige Erfahrung mit dem Wasserfall gemacht und mich auch entsprechend davor gewarnt hatten.

Mit seinem langen, braun-weissen Bart sticht der amerikanische Guru Sadi natürlich unter allen hervor. Sein rein weisses, wallendes Gewand und der ebenfalls weisse Turban verstärken die ehrfürchtige Erscheinung noch. Ich will von ihm wissen, was er denn im Leben vor dem „Guru“ war. „Nun“ beginnt er zu erzählen „ich wuchs in sehr konservativen Verhältnissen in der USA auf. Meine Eltern waren sehr christlich und ich selber war diesbezüglich ebenfalls stark engagiert. In den späten sechzigern traf ich dann einen Sikh-Guru der die USA bereiste und Yoga-Unterricht gab. Ich war damals sehr von Yoga und der Lebensweise der Sikhs fasziniert und entschloss mich zu dieser Glaubensrichtung über zu treten. Mich interessierte allerdings weniger die damalige Hippie-Bewegung, als vielmehr eine sehr strikte Verfolgung der indischen Sikh-Glaubenslehre. Meine Eltern waren natürlich schockiert und mit meinem Vater habe ich nach Eröffnung meines Entscheides fünf Jahre nicht mehr gesprochen.

Damals war ich ein aktiver Gewehrchütze auf Olympia-Niveau. Ich wollte auch, selbst jetzt als Sikh, in die Armee eintreten, was damals eine grosse Diskussion auslöste. Ronald Reagan hatte gerade ein Gesetz wieder aufgehoben, welches den Sikhs erlaubte Militärdienst zu leisten. Denn die Sikhs sind bekannt für ihre kämpferischen Fähigkeiten und stellen einen Grossteil der indischen Armee, obwohl sie nur einer Minderheit im Land angehören. Ich war also, um darauf zurück zu kommen, ein absoluter Sonderling. Viele wollten ihren Armeedienst verhindern, ich wollte das genaue Gegenteil! Es wurde damals breit in der Presse debattiert.“
Er erzählt mir weiter von seinen zwei missglückten Eheschliessungen und wie er sein Dasein als Guru finanziert. „Weisst Du, ich war nicht schlecht im Geschäften und mit einundfünfzig habe ich nun genug Kapital um davon leben zu können. Man braucht nicht viel in Indien“ fügt er grinsend an und zieht bedeutsam die Augenbrauen hoch.

Schliesslich lerne ich auch noch Catharina und Walter aus Chile kennen. Beide sind bereits seit einem Jahr unterwegs und machen sofort einen aufgeschlossenen und sehr freundlichen Eindruck auf mich. Sie erzählen mir von Chile, welches über ein sehr ähnliches Klima wie die Schweiz verfüge. Dementsprechend ist es Catharina hier dauernd zu heiss. Walter scheint es hingegen nicht zu stören. Beide waren vorher in Thailand und erzählen mir begeistert von ihrer Reise. Ich müsse unbedingt den Sonntagsmarkt in Chiang Mai besuchen und dann auch hoch nördlich bis Chiang Rai reisen. Dort gäbe es einen wunderschönen Park, die Winterresidenz des Königs. Ich könne ja dann weiter über den Mekong Fluss nach Laos reisen, wobei ich unbedingt ein Boot nehmen und nicht aus versehen in einen Bus steigen soll. Die Busse seien katastrophal, die Boote dagegen sehr angenehm. Dann könne ich ja Richtung Süden und via Kambodscha wieder nach Bangkok zurück reisen. Ach ja, und ich solle unbedingt die Westküste und nicht die Ostküste bereisen, denn da sei während meiner Reisezeit Monsun. „Nicht noch einmal“, denke ich und nehme die ganzen Reisetips dankend entgegen.

Genau so hatte ich mir das vorgestellt. Ha! Endlich bin ich wirklich Globetrotter, in guter Gesellschaft und mit tausend neuen Reiseplänen im Kopf. Davon hatte ich immer geträumt während ich alleine in Indien durch den Monsun tuckerte.

Am nächsten Morgen mache ich mich wieder auf zu meinem Maggia-Turm-Ganges-Meditations-Traumstrand und erlebe eine Überraschung. Jemand hat meinen Turm verschönert. Er ist nun mit Räucherstäbchen und rotem Tilaka (einem farbigen Pulver das oft bei religiösen Zeremonien Verwendung findet) verziert. Ich bin wohl gerade zum hinduistischen Schrein-Designer aufgestiegen.

Mittwoch, 10. September 2008

Abenteuer Aeroflot

Wenn man billig von und nach Indien fliegen will, dann kann man das auch. Zuweil endet das halt in einem Abenteuer, wie beispielsweise meine Flüge mit der russischen Aeroflot. Zugegeben, ich hatte keine Ahnung, wie das ist, mit einer russischen Fluggesellschaft zu fliegen. Dementsprechend war ich offen für alles, solange ich nicht von der Maschine aus zehntausend Metern ausgespuckt Höhe ausgespuckt werde.

Bei meinem Rückflug in die Schweiz steige ich also interessiert in das russische Flugzeug. Das riesige Gefährt kann eigentlich nicht als solches bezeichnet werden. Es ist einfach zu gross zum fliegen. Ich habe mal was von einer Tupolev gelesen, einem ebenfalls russischen Flugzeug, das ganze Autos in seinem Bauch verschwinden lassen kann. Ein fliegender Mobby Dick. So ähnlich ist der Flieger in dem ich nun sitze. Die anderen Passagiere und ich verschwinden förmlich in der fliegen Halle. Ich zähle neun Sitzplätze pro Reihe! Dabei ist über die Hälfte nicht besetzt, was mir einen Liegesitz über drei Sitze verschafft. Die Decke ist so hoch wie in einer kommunistischen Versammlungshalle oder einem seltsam röhrenförmigen Kino. Nur läuft kein Film. Wieso auch, es fliegt sich ja auch so und die Akustik wäre eh nicht gerade blendend.

Die russischen Flugbegleiterinnen geben ziemlich klar zu verstehen, das mit Extrawünschen in diesem Flieger nicht viel zu wollen ist. In der fliegenden Halle sind die Passagiere ja auch kaum zu finden. Irgendwann findet eine unterkühlte Dame mich dann doch noch in einer einsamen Reihe und serviert mir ein mittelmässiges Dinner. Davon kriege ich jedoch schon nach kurzer Zeit Bauchschmerzen. Ausgerechnet ich, der grad sechs Wochen indische Esshygiene überlebt hat. Andere Länder, andere Bakterien.

Leider ist die fliegende Tennishalle nicht grad besonders schnell, vor allem nicht auf dem Moskauer Flughafen. Wir rollen etwas, stehen fünf Minuten rum, rollen wieder etwas weiter und stehen nochmals rum. Diese Tradition ist hier offensichtlich üblich, denn auch nach dem Verlassen des Monsters geht es nicht zügiger voran. Der Bus schliesst sich, rollt zehn Meter und steht dann auch nur rum. Ich schaue gehetzt auf die Uhr. Mein Anschlussflug geht in genau zehn Minuten. Das ist dann auch genau die Zeit, die ich im Bus weiter auf dem Rollfeld rumstehe.

Die Beamtendame am Transfer-Schalter bittet mich etwas abseits zu warten, als sie mein Ticket entgegen nimmt. Keine Entschuldigung, keine Erklärung, nur warten. Danach bedeutet sie mir mitzukommen und dirigiert mich durch den halben Flughafen. Na immer noch besser als irgendwo ohne Flug stehen gelassen zu werden denke ich mir und watschle ihr brav hinterher. Ein weiterer Schalter, eine weitere Dame, ein weiterer Flug. Allerdings nicht nach Zürich, sondern nach Hamburg. Und mit meinem Gepäck gibt es auch Probleme. Das wird vermutlich nicht rechtzeitig in Zürich ankommen, gibt man mir zu verstehen. Nicht so schlimm, entschliesse ich mich, dann wird mir halt jemand meinen Rucksack hinterher tragen müssen, hehe. Viel Spass!

Irgendwann bin ich dann auch tatsächlich in Hamburg und etwas später sogar in der Schweiz. Zwei Monate später sogar schon wieder im Flugzeug zurück nach Moskau. Diesmal zur Abwechslung in einer ganz normalen Linienmaschine und auch das Personal ist heute ganz nett. Ob das am Flugzeugtyp liegt? Vielleicht macht es ja einfach keinen Spass in einer fliegenden Tennishalle zu arbeiten.

Russische Toiletten-Tradition

Auf dem Flug von Moskau nach Delhi erhalte ich einen Sitzplatz mit direkter Sicht auf die Toilette. Zu Beginn ahne ich noch nicht, wie unterhaltsam so etwas sein kann. Kurz vor Abflug verschliesst eine Flugbegleiterin die Toilette mit einem Trick. Mit einem gewöhnlichen Plastikmesser schiebt sie das grüne Besetzt-Plättchen nach oben und schliesst so die Toilette von aussen. Nachdem wir unsere Flughöhe erreicht haben, versucht sie mit dem umgekehrten Trick die Toilette wieder aufzuschliessen. Leider hat sie nicht bemerkt, das dies schon von ihrer Kollegin erledigt wurde und inzwischen bereits ein Inder auf der Schüssel sitzt. Von aussen müht sie sich sichtlich genervt mit dem Plättchen ab. Von innen scheint der Inder dem Treiben entsetzt entgegenzuwirken und den Verschlussmechanismus zu blockieren. So mühen sich beide einige Zeit ab und haben wohl auch ähnliche Gedankengänge wie zum Beispiel „das kann doch nicht sein!“,„so ein Scheiss“ oder ähnlich. Nachdem ich breit grinsend dem amüsanten Theater eine Zeitlang zugeschaut habe, erkläre ich der russischen Dame, dass sie besser einfach warten soll bis der Inder wieder rauskomme, was sie unter peinlich berührtem Gekicher zu einem spontanen Gesichtsfarbwechsel in Richtung rot animiert.

Es sind etwa drei Stunden vergangen und die meisten Fluggäste nutzen den nächtlichen Flug um mehr oder weniger Schlaf vor oder nachzuholen. Jedoch nicht ganz alle Fluggäste. Einerseits wäre da der Fluggast aus der Schweiz, der einfach kein Auge zukriegt und sich dem idyllischen Ausblick auf die Toilette ergibt und andererseits ist da das junge russische Pärchen, welches plötzlich auf eben selbiger Toilette verschwindet. Gleichzeitig!

Ich versuche logische, eindeutig uneindeutige Erklärungen für das eben gesehene zu finden und nicht mehr ganz so deutlich auf die Türe des Häusschens zu starren. Das kann doch nicht sein! Das ist doch sicher nicht, was es zu sein scheint, oder etwa doch? Irgendwann beschliesse ich dann doch nicht prüder zu denken als ich in Wirklichkeit bin und einfach hinzunehmen, dass das da grad ist was es halt ist. Es wird durch gelegentliches Verbiegen der Toilettentür dann auch sanft unterstrichen.

Natürlich nehme ich davon nur ganz am Rande Notiz, nicht das ich sowas extra auch noch beobachten würde! Schliesslich will ich ja nicht als Spanner gelten! Mein Blickfeld ist halt nur sehr eingeschränkt und die Toilettentür füllt einen Grossteil davon aus. Ich werde also quasi zum Spannen gezwungen. Gut, ich sehe ja eigentlich nichts, sage ich mir und kann mich damit beruhigen. Dann zweifle ich aber gleich wieder daran, weil ich mir ja „vorstelle“ was die beiden da drin grad treibe und somit eine indirekte Form des Spannens betreibe. Plötzlich habe ich eine brillante Idee und krame die Augenbinde hervor, welche mir die Flugbegleiterin zu Beginn des Fluges ausgehändigt hatte. Damit lassen sich sämtliche sich verbiegenden Türen hervorragend abschirmen. Ahh ja, das ist gut. Dunkelheit, diskrete Dunkelheit!

Gedanklich hilft die Maske jedoch gar nichts und so ziehe ich sie mir nach kurzer Zeit wieder aus. Ich will ja aus rein statistischen Gründen auch wissen, wann die zwei wieder heraus kommen. Es sind etwa zehn Minuten. Beschliesse ich. Denn zu messen habe ich das nun wirklich nicht gewagt. Alles hat seine Grenzen! Die beiden sind sichtlich vergnügt und verschwinden ziemlich dynamisch wieder auf ihren Plätzen. Ich grinse nur in mich hinein und tue so, als hätte ich gar nichts gesehen. Habe ich ja eigentlich auch nicht.

Dafür sehe ich umso deutlicher, dass sich das Schauspiel eine halbe Stunde später wiederholt. Das gibt's doch nicht! So eine Frechheit! Doch diesmal wird es spannend. Eine dicke Inderin versucht auf die Toilette zu kommen und ich war mir diesmal nicht ganz sicher, ob das Pärchen die Türe richtig verschlossen hat. Insgeheim hoffe ich natürlich, das dem nicht der Fall ist! Schliesslich ist man ja ein klein wenig Sadist. Rein aus unterhaltungstechnischen Gründen versteht sich. Die Inderin hebelt an der Türe rum, kriegt sie jedoch nicht auf. Dann entdeckt sie, das auf der anderen Seite auch eine Toilette ist und gibt sich mit dieser zufrieden. Zwei Minuten später stürmt das Pärchen aus der Toilette, scheint jedoch trotz Toilettus Interruptus nicht weniger vergnügt als beim letzten mal. Zwei mal in dieser kurzen Zeit und erst noch auf der Flugzeugtoilette! Alle Achtung!

Was sagt uns diese Geschichte? In Russland scheint ein akuter Bettenmangel zu herrschen und die prüden Inderinnen wollen anscheinend unbedingt zuschauen, wenn endlich mal jemand etwas in Richtung angewandte Vermehrung demonstriert.

Samstag, 16. August 2008

Wenn man das Glück nicht achtet


Verstecktes Glück
Originally uploaded by hobbes_ch
Ich bekam ein „verstecktes Glück“ geschenkt, habe es jedoch tatsächlich vergessen mit zu nehmen. Wie kann man so etwas wichtiges denn nur vergessen! Nicht nur, das mich die Schenkerin Anette beim nächsten Besuch mit dem Zaunpfahl auf die verdörrte Pflaume die bei mir anstelle eines Denkapparates eingebaut sei hinwies (...obwohl Frauen die unglaubliche Gabe haben, solch einen Hinweis mit Blumen und farbigen Schleifchen zu umwickeln, bis er fast wie ein Kompliment daher kommt). Nein, das verschmähte Glück rächte sich in den letzten zwei Wochen gleich selber und ohne Beihilfe Anettes.

Wie alles begann: Wie bereits gesagt vergass ich das „versteckte Glück“, einen winziger Kristall in einer genauso winzigen Höhle eines ziemlich winzigen Steins bei Anette auf dem Küchentisch. Inzwischen liegt „das versteckte Glück“ natürlich längst hier bei mir auf dem Arbeitstisch und ist, beim genaueren betrachten, auch gar nicht so winzig. Sonst fühlt es sich noch beleidigt und mir erfährt noch mehr Unglück.

Am Folgetag wollen Anette und ich Rollerbladen gehen. Diese dynamische Sportart gehört bei mir durchaus zu den beliebtesten Ausreden um Sonntags nicht die Küche aufzuräumen. Ich hatte mir für unseren grossen Sportausflug extra ein neues und furchtbar verbilligtes Paar Rollerblades gekauft. Mit diesen baumelnden Trophäen und einem noch jungfräulichen Paar Handgelenkschoner stolziere ich also Richtung Bushaltestelle. Leider bin ich für den geplanten Zug, den Anette und ich erwischen wollen, etwas spät dran. Das hält den Bus leider kein Bisschen davon ab, mir vor der Nase davon zu fahren. Ich stehe also immer noch mit baumelnden Rollerblades an der Bushaltestelle, sehe aber inzwischen wegen den nun etwas hängenden Schultern eher aus wie ein schlechte ausgewuchteter Weihnachtsbaum. Der nächste Bus fährt um neun Uhr fünfzehn. Na ja, das könnte noch knapp hinhauen. Um neun Uhr siebzehn ist er allerdings immer noch nicht da und ich werde nervös. Ich prüfe nochmals die Abfahrtszeit und erkenne das der Bus in Wirklichkeit erst um zweiundzwanzig nach fährt. Das ist verdammt spät! Kurzentschlossen ringe ich mich dazu durch, mit den Rollerblades bis zum Dreispitz zu fahren um dort den anderen Bus an den Badischen Bahnhof zu erwischen.

In flottem Tempo düse ich den Hügel hinunter, bremse aber doch immer wieder auf halbe Schallgeschwindigkeit ab, um einen möglichen Sturz zu überleben und doch noch nach Nepal reisen zu können. Zu dem bereits erwarteten Sturz kommt's dann auch schon wenig später. Meine Beine wabbeln wie Pudding und wollen alles andere als geradeaus fahren. Mit der Koordination der abtrünnigen Extremitäten beschäftigt erfährt mein Gleichgewichtssinn eine spontane Überlastung und beschliesst erst einmal eine neutrale Ruheposition einzunehmen. Ich lande ziemlich unsanft auf dem Bauch und schürfe mir einige exponierte Stellen auf. Stöhnend rolle ich mich erst einmal von der Strasse und setzte mich auf die Böschung um den Schaden zu begutachten. Eigentlich ist alles nicht so schlimm. Nur oberflächliche Schürfungen und meine Schulter tut etwas weh. Ich kann den Arm nicht mehr richtig bewegen, aber das gibt sich sicher auch bald wieder.

Ich fahre weiter. Ganze fünf Meter. Dann merke ich das meine nagelneuen Rollerblades beim Sturz kaputt gegangen sind. Eine Schnalle ist abgebrochen und ich fahre nur den Stil eines umgekehrten und sehr flachen „V“s. Ich hätte das „versteckte Glück“ wirklich nicht vergessen dürfen!

Endlich bei Anette angekommen werde ich erst einmal von ihr desinfiziert und dick mit Sportverletzungssalbe eingestrichen. Eine Apotheke hat uns aus Erbarmen mehrere Gratismuster mitgegeben, welche wir nun nacheinander durchprobieren. Die erste Salbe brennt wie Feuer und kühlt gleichzeitig. Vielleicht hört sich das jetzt komisch an, aber genau so wirkte sie. Das Produkt sollte den Markennamen „Gefrorener Vulkan“ oder „hEissgekühlt“ tragen.

Den Tag verbringen wir mit einer mehr oder weniger entspannten Tour durch Freiburg, inklusive einer Besteigung des Schlossbergturms. Unterbrochen wird der Ausflug nur durch regelmässig aufwallendes Gejammer meinerseits, welchem Anette mit erneuten Salbungsaktionen begegnet. Ich empfehle ihr, mir doch eine „letzte Ölung“ zu verpassen und mich danach not zu schlachten. Leider weigert sie sich konsequent gegen diese finalen Schritte und salbt fleissig weiter.

Nach der Rückfahrt kommen wir glücklich wieder in Basel an und ich versuche den Zug zu verlassen. Leider gelingt mir das nicht gleich. In dem Moment als ich durch die grosse Automatiktür des Wagons trete, donnert diese heftig zu. Genau auf meine verletzte Schulter. I gebe zu, das tut jetzt schon etwas weh. Ich hätte das „versteckte Glück“ wirklich nicht vergessen dürfen!

Eine Woche später sind die ganzen Schürfwunden schon wieder ziemlich verheilt, nur mein linker Arm baumelt immer noch ziemlich lustlos an mir runter. Zwar kann ich ihn inzwischen schon wieder etwa zwei Zentimeter anheben, aber damit kommt man in der Dusche schwer an die eigenen Haare. Und einhändig Haare Waschen ist wie mit der linken Hand Papier zu schneiden: Man kann es auch gleich lassen.

In Ermangelung einer besseren Lösung hebe ich also mit dem rechten Arm meinen linken Arm hoch und stütze den Ellenbogen in die Ecke der Duschkabine. So gelangt meine linke Hand in meine Haare und krallt sich dort erstmal fest. Inzwischen habe ich bemerkt, das ich meiner Hand vielleicht besser vorher noch etwas Schampo hätte mitgegeben sollen und versuche dies nun einhändig nachzuholen. Im Blindflug drücke ich mir einen riesigen Klacks Schampo direkt auf den Kopf und in die Augen. Nun versuche ich, inzwischen blind, die schlampigen Waschvorbereitungen durch einigermassen koordinierte Handarbeit beider Hände wieder wett zu machen. Leider verursachen diese Bewegungen nun doch ziemlich massive Schmerzen in meiner Schulter und ich lasse das ganze sein. Wer verletzt ist braucht keine supersauberen Haare. Ausserdem sollte die doofe Schulter nach dieser Zeit schon längst wieder gesund sein. Ich beschliesse nun doch noch zum Arzt zu gehen. Vorher will ich den Unfall aber noch bei meiner Versicherung melden.

„Aber sie sind bei uns gar nicht Unfall versichert“, meint der Kundenberater meiner Versicherung pikiert. "Wie kann denn das sein“ erwidere ich „ich habe doch extra dazu geschrieben das ich nach Ablauf meiner Abredeversicherung meines ehemaligen Arbeitgebers bei ihnen auch die Unfallversicherung will“. „Ja, aber sie haben es nur bei dem Formular der Zusatzversicherung“ dazu geschrieben. Nun sind sie nur Unfall-Zusatzversichert.“
Ich stosse wieder einmal an die Grenzen meines Begriffsuniversums, insbesondere was versicherungstechnisches Gefasel anbelangt. Wie kann man zusatzversichert sein ohne eine Grundversicherung zu haben und warum ist eine Unfall-Zusatzversicherung keine Unfall-Zusatzversicherung zur Kranken-Grundversicherung, so wie ich das eben verstanden hatte. „Wir melden uns morgen wieder“, meint mein Kundenberater dazu.

Wenig später sitze ich im Wartesaal meines Hausarztes, einem früheren Schulkollegen. Vor mir liegen sicher zwanzig interessante Zeitschriften die alle gelesen werden wollen. Kostet es eigentlich, wenn man einfach so ins Wartezimmer seines Hausarztes zum Lesen geht? Auch ohne Arzttermin? Ich lesen einen Beitrag in der Geo über „Entscheidungen“ und komme genau bis zur Seite zwei, dann bin ich schon an der Reihe. Dabei wurde der Artikel gerade spannend. Es ist immer das gleiche mit diesen Wartesälen. Fängt man erst gar nicht an zu lesen, wartet man Stunden. Liest man doch, wird man genau dann wenn der Text spannend wird aufgerufen.

Nachdem ich meinem Arzt meine Schulter zeige schüttelt der nur den Kopf und mach seltsame Geräusche. "Ohh ohhh ohhh". Schliesslich findet er, dass das nicht gut aussehe. Eigentlich hätte er schon lange keine so schlimme Schulter mehr gesehen (beruhigend). Vielleicht müsse man das operieren (sehr beruhigend) und eine Schraube reindrehen (wahnsinnig beruhigend). Und wahrscheinlich müsse man auch ein MRI machen (äusserst beruhigend, vor allem wenn man nicht unfallversichert ist, also alles selber bezahlen muss!). Ich hätte das „versteckte Glück„ wirklich nicht vergessen sollen!!

Schliesslich röntgt er mich aber nur und meint danach lakonisch, die Schulter sei gebrochen. Kein Wunder hat das mit den beidhändigen Haare waschen nicht geklappt, denke ich mir. Aber man müsse nichts machen, das wachse nach drei bis vier Wochen wieder zusammen. Er will mir auch keine Schrauben, Dübel, Anker oder sonstigen Metallteile mehr implantieren, sondern einfach nur warten und in zwei Wochen nochmals röntgen. Warten ist gut! Röntgen ist auch gut! Das tut alles nicht sehr weh und kostet auch nicht so viel. Doch noch Glück gehabt. Wenn auch versteckt.

Als sich am Nachmittag dann auch noch die Versicherung meldet und mir eröffnet, sie hätten beschlossen das ich die Unfallversicherung nachträglich und rückwirkend abschliessen könne ist mein Tag gerettet. Ich werde nie wieder ein Glück vergessen. Nicht mal wenn es versteckt ist!

Mittwoch, 30. Juli 2008

Sturm

Ihr fragt mich heut
wie es mir geht
wie kann ich euch das sagen
fragt statt des Boots
das sich bewegt
die Wellen die es tragen
durch diesen Sturm
der mächtig tobt
mit Feuer, Wind
und Wasser lobt
das Leben zu erfahren

Doch wahrlich
was ich sagen kann
im Strudel der Gezeiten
es kümmert nicht
das schmerzlich Bann
das trübt
die neuen Weiten
die Wolken werden
sich verziehn
vom Horizont
der nur gelihn
vom Licht
das sie begleiten

Sonntag, 27. Juli 2008

Back to Switzerland

Das gute an Weltreisen ist, das man sie nach Lust und Laune unterbrechen kann und dann trotzdem noch Ferien hat. Und das gute an der Schweiz ist, das es hier Kühe nicht heilig sind und ich drum umso mehr davon verspeise. Wenigstens jetzt gerade, während meines Zwischenhalts in der Schweiz. Bis am 9. September geniesse ich erst einmal den heimischen Sommer und fliege dann wieder zurück nach Delhi, um kurze Zeit später in den Himalaya einzutauchen.

Freitag, 18. Juli 2008

:'o(

... traurig ...

Mittwoch, 16. Juli 2008

Drachen über Delhi


Drachen ueber Delhi
Originally uploaded by hobbes_ch
Die Luft ist heiss. Versteckt sich hinter einem stetigen Wind der über die Dächer von Delhi streicht und die Ausdünstungen der Grossstadt in sich trägt. Schwanger mit Millionen Düften und Gerüchen, die einem gleichzeitig die Sinne rauben und fasziniert schnuppern lassen. Man kann eine Stadt am besten an ihrem Geruch erkennen. Jeder einzelne Bewohner der Stadt findet sich darin wieder.

Es ist früher Abend. Die Sonne steht tief und taucht die Dächer in ein freundliches Licht. Sie haben die Härte verloren, die ihnen Tagsüber das unbarmherzige Gleissen der Sonne aufzwingt. Die Häuser wirken unfertig. Als sei die ganze Stadt noch im Aufbau. Werde nie fertig. Strebe ständig höher. Wie Pflanzen die der Sonne entgegen ranken. Im ständigen Kampf untereinander.

Mein Blick schweift langsam über die Dächer. Gegen den Ostwind. Bleibt an einem Punkt hängen. Erst halte ich es für ein Stück Papier, das vom warmen Wind gepackt wurde. Wie ein zappelnder Fisch. Immer wieder auf und ab trudelt. Zu entkommen versucht.

Ich erkenne das es ein Papierdrachen ist. Und er ist nicht der einzige. Duzende, wenn nicht hunderte davon tanzen über den Dächern. Manche nur wenige Meter hoch in der Luft. Als lernen sie erst grad fliegen. Andere hoch oben und einer, ein schwarzer, verschwindet sogar fast im Himmel. Klettert immer höher. Versucht aus dem Smog zu tauchen.

Etwas haben sie alle gemeinsam, diese Schmetterlinge der Dächer. Sie sind fröhlich und erfreuen das Auge. Die ganze Stadt erhält durch sie einen anderen Touch. Verspielt, freundlich, über sich selber lachend. Nicht das konservative, strenge Gesicht einer normalen Hauptstadt. Delhi hat sich verkleidet und weiss es nicht einmal.

Ich beobachte die tanzenden Drachen. Jeder Drache gehört einem Kind, das ihn von seinem Dach aus steuert. Jedes auf seine Art, so wie die Drachen auch jeder anders sind. Und doch sind sie alle miteinander verbunden. Denn es gibt nur einen Himmel über der Stadt, welcher nun ihnen gehört. Den Drachen und den Kindern. Der Himmel über Delhi ist ein einziger grosser Spielplatz seiner Kinder. Für ein paar Stunden bis es dunkel wird rebellieren die Kinder still und fröhlich gegen die Anonymität der Grossstadt. Recken ihre luftigen Hände in die Höhe und winken sich zu. Sie winken auch mir zu, der ich hier oben auf dem Dach stehe. Grinsend und zufrieden zurück winke. Fliegt, ihr Drachen von Delhi, fliegt.

Montag, 14. Juli 2008

Durch den Hexenkessel nach Delhi


Hektik am Abend
Originally uploaded by hobbes_ch
Eigentlich wollte ich ja den Zug nehmen, wie ich es sonst auch immer tue. Nur war das diesmal etwas schwierig. Sogar trotz intensiver Nutzung des Internets! Es gab nicht unbedingt grad viele Züge die nach Delhi fahren, wo ich ja hin muss denn von da geht mein Flug in die Schweiz. Was ich schon wieder in der Schweiz will? An eine Hochzeit! Und Fischstäbchen mit Mayonnaise essen, auf die ich mich schon so lange freue. Und danach dann wieder zurück nach Delhi.
Aber zurück zu den indischen Zügen, die mich im Moment ziemlich unbarmherzig von meinen Fischstäbchen trennen. Ich finde heraus, das es vier Züge gibt welche nach Delhi fahren. Zwei davon werden jeden Tag frischfröhlich gestrichen. Eine schlechte Wahl finde ich. Darauf bin ich auch schon reingefallen. Da steht man dann wie bestellt und nicht abgeholt am Bahnhof und schaut erst mal in die Röhre. Oder auf die Schiene, wo eben kein Zug steht.

Also einer der beiden verbliebenen Züge, die täglich fahren und einen zuverlässigen Eindruck machen. Einer scheint auch noch nicht so überbucht zu sein. Zwar sind keine Plätze mehr frei, aber ich komme mit Position Nummer sieben auf die Warteliste. Mit etwas Glück habe ich zwei Tagen das Ticket. Also buche ich den Zug, komme aber gar nicht erst so weit. Während dem Buchen sagt mir das liebe Programm, das mein Zug gar nicht nach Delhi fahre und ich bitte den Zielbahnhof aus der Liste auswählen soll. Aber den habe ich doch schon anfangs eingegeben. Eben Delhi, oder New Delhi, oder wie auch immer das da heisst. Aber keiner der mir bekannten Bahnhöfe ist in der angebotenen Liste. Auch ein Blick auf die Karte von Delhi bringt mich nicht weiter. Keiner der Zielorte hat irgend etwas mit Delhi zu tun. Ich bin überfordert und entschliesse mich den zweiten Zug zu probieren.

Alles nochmals von vorne. Doch diesmal gibt es sogar einen Bahnhof mit den Namen „New Delhi“ auf der Zugsroute. Das klingt doch ganz vernünftig und ich buche. Allerdings bin ich hier auf Wartelistenplatz Nummer dreizehn. Ermutigend! Aber ich bin ja nicht abergläubisch.
Einen Tag später dann aber schon, denn ich bin noch immer auf Platz dreizehn. Niemand streicht seine Reise und so wird mein mühsam gebuchtes Ticket einfach verfallen, wenn nicht noch ein Wunder passiert. Und auf Wunder will ich meinen Hochzeitsbesuch in der Schweiz nicht aufbauen. Also buche ich kurzentschlossen einen Flug. Der zweite Billiganbieter akzeptiert dann auch gnädigerweise meine Kreditkarte und ein paar Minuten später halte ich glücklich mein E-Ticket für Flug 831 nach Delhi in den Händen.

Zwei Tage später sitze ich noch glücklicher im genannten Flieger, verliere aber meine gute Laune gleich wieder, als der Pilot etwas von „little stormy“ durchgibt. Vermutlich habe ich ihn nur nicht richtig verstanden denke ich mir. Er ist schliesslich auch nur ein Inder und da kann schonmal das eine oder andere Missverständnis entstehen. Ich lehne mich also gemütlich zurück und wundere mich ein paar Minuten später über die hellen Leuchterscheinungen am Horizont. Als hätte die Stewardess meine Gedanken gelesen dimmt sie sogleich das Licht in der Kabine und nun kann ich es deutlich sehen. Der Himmel brennt. Ein Gewitter genau vor uns. Ping, das Anschnallzeichen erscheint. Ich will da nicht hin! Das heisst schon, aber nicht durch dieses Ding da draussen. Ich fange an zu schwitzen. Ich war noch nie mit einem Flieger in einem Gewitter. Geht denn sowas überhaupt? Darf man das denn? Ich meine, schliesslich beharren ja die netten Stewardessen sogar darauf das ich bei Start und Landung meinen iPod ausschalte. Irgendwie halte ich einen Blitz für bedrohlicher als mein iPod!

Ping, nochmals erscheint das Anschnallzeichen und die Stewardess verbietet das Verlassen des Sitzplatzes und die Benutzung der Toilette. Was hat denn das Gewitter mit der Toilette zu tun? Schlägt der Blitz etwa durch die Schüssel? Das Gewitter kommt näher. Mit achthundert Stundenkilometern und genau von vorne. Deutlich sieht man die Wolkentürme, wenn Zeus wieder einer seiner beängstigenden Attacken vollführt. Das Flugzeug beginnt zu schütteln. Mit feuchten Händen kralle ich mich an der Lehne fest. Und dann geschieht es. Genau auf Höhe des Flugzeugs, wenn auch einige hundert Meter entfernt, entlädt sich ein gewaltiger Blitz von Wolke zu Wolke. Ich warte das etwas passiert. Irgend etwas. Zum Beispiel dass das Triebwerk ausfällt oder in Brand gerät. Vielleicht sogar abfällt. Oder es irgendwo ein paar Funken gibt und Rauch austritt. Wie in den Filmen, wenn ein Gerät durchschlägt. Und dann würden natürlich diese gelben Sauerstoffmasken von der Decke fallen, die man aber wegen dem dichten Rauch gar nicht mehr finden könnte. Und die Stewardessen könnten auch das Feuer nicht löschen, welches durch die Funken entstanden wäre. Weil der Schlauch der Sauerstoffmasken viel zu kurz wäre und sie mit dem Feuerlöscher gar nicht bis zum Brandherd laufen könnten. Atmen und verbrennen oder löschen und ersticken. Arme Stewardessen!

Doch allen widrigen Erwartungen zum Trotz: Nichts passiert. Alles bleibt ruhig. Ich höre noch nicht mal einen Donner. Auch das Flugzeug fliegt inzwischen wieder ganz ruhig. Gespenstisch ruhig. Ich versuche wieder zu atmen und merke, das ich wohl bald erstickt wäre. Bevor das Flugzeug noch auf dem Boden zerschellt wäre.

Unter uns entfaltet das Gewitter sein ganze Macht. Wir scheinen gerade am Zentrum des Sturms vorbei zu fliegen. Schräg unter uns tobt ein irrsinniger Hexenkessel. In einem begrenzten Gebiet blitzt es unablässig. Als hätte die Wolken dort einen gewaltigen Kurzschluss der ständig überschlägt. So stelle ich mir die Entstehung des Lebens vor, denke ich mir. Ich sitze wie in einer Vergnügungsbahn in Disney-World, während unten ein unglaubliches Schauspiel abläuft. Dabei fliegen wir ruhig und ohne die geringsten Erschütterungen darüber hinweg. Mit offenem Mund klebe ich am und zwar bis wir sicher in Delhi gelandet sind. Erst dann kann ich glauben das wir soeben ein Gewitter durchflogen haben und schliesse meinen Mund wieder. Wie das allerdings fast ohne Turbulenzen möglich war werde ich wohl nie verstehen. Alles nur Show? War das grad echt?

Das Geschäft mit dem Paradies


21 03 16.1 N, 86 29 32.3 E
Für die Inder leben wir alle im Paradies. Einem unendlich schönen und unendlich reichen Paradies. Ganz im Gegensatz zu Indien. Wobei dies auch wieder nicht ganz stimmt. Da kommt den Indern dann der Nationalstolz in die Quere. Immer sehe ich mich mit der Frage konfrontiert: „How do you like India“. Ob da nun ein versteckter Minderwertigkeits-Komplex durchscheint oder ob sich in der Frage der Stolz einer Nation spiegelt, blieb mir bisher verschlossen. Ich dagegen bekräftige immer wieder, wie wunderschön doch dieses Land sei, all die verschiedenen Kulturen, traumhaften Gegenden und netten Menschen. Ich schwärme von der wunderbaren Landschaft um Hampi, dem eindrücklichen Wagenfest von Puri und den riesigen, wenn auch verregneten Stränden von Arambol. Dies zaubert regelmässig ein befriedigtes Lächeln in die Gesichter meiner indischen Gesprächspartner und doch folgt sogleich immer eine Anschlussfrage. Woher ich denn komme. Aus Genf oder Zürich. Es seien ja so schöne Städte mit riesigen Häusern und all die tollen Berge.

Die Schweiz ist den Indern einschlägig bekannt. Ihr Eindruck ist durch die zahllosen Bollywood -Filme geprägt, in denen die Schweiz als die Honeymoon-Destination bejubelt wird. Vermutlich wegen des kühlen Klimas. Bei den Schweizer Temperaturen schlägt das (unterdrückte) erotische Herz jeder Inderin und jedes Inders etwas höher. Da immer die gleichen Orte, nämlich Genf und Zürich, gezeigt werden, die eben in den Bergen liegen und wobei Zürich als Hauptstadt der Schweiz fungiert, ist dies auch das indische Bild der Schweiz. Und natürlich sind alle Schweizer Reich. Sehr reich. Ich werde auch immer nach meinem Einkommen gefragt und rede dabei regelmässig um den heissen Brei herum. Ich hätte ja gar kein Einkommen als Globetrotter und ausserdem wisse ich nicht wie viel das in Rupis sei. Und man könne das ja nicht so eins zu eins vergleichen. Ich bringe jetzt immer den erschreckenden Vergleich was ein Liter Mineralwasser in der Schweiz kostet. Etwa hundert Rupis. Dafür fährt man hier ein paar Hundert Kilometer mit dem Bus. Und das indische Wasser kostet nur einen Zehntel davon. Es entspringt allerdings auch nicht diesen wunderschönen Bergen die man in den Bollywood-Filmen immer wieder sieht.
Der junge Durchschnittsinder will also in die Schweiz. Und dann gleich bei mir wohnen. Ich hätte schon halb Indien in meiner nicht mehr existierenden Wohnung, währe ich auf all die Anfragen eingegangen. Da ist es dann sehr praktisch, eben gar nicht erst eine Wohnung zu haben, was eine dankbare und einleuchtende Erklärung ist, warum derzeit niemand aus Indien bei mir wohnen kann.

Mit der Zeit habe ich auch noch eine weitere Ebene dieser Scheinwelt gesehen, welche in Indien so populär ist. Mit der Vermittlung von Jobs im Ausland muss in Indien eine unglaubliche Menge Geld gemacht werden. Das fängt schon bei der Werbung im Fernsehen an, die allgegenwaertig ist. Karriere- und Jobplattformen aus aller Welt gaukeln da dem Inder vor, das genau er das fehlende Teil im Puzzle jeder westlichen Firma sei. Darauf aufbauend boomt das Ausbildungs-Geschäfts welches eine unendliche Bandbreite an In- und Auslandslehrgängen, vor allem im IT- und Netzwerk-Sektor, auf den Indischen Markt wirft. Abschlüsse aller Art werden hier per Internet angepriesen. Lehrgangsleitfäden können heruntergeladen werden und mit einem weiteren Klick erscheinen ein paar halbnackte Kalifornierinnen, die natürlich ebenfalls nur auf die Unterstützung aus Indien wartet.

Wenn man mit Indern spricht, die aber tatsächlich in der Schweiz leben und arbeiten sieht die Sache schon anders aus. Die kulturellen Unterschiede seien halt schon sehr gross und Kontakt zu einer Schweizerin herzustellen sei für einen Inder praktisch unmöglich. Ganz abgesehen davon, dass sie von den Eltern höchstwahrscheinlich nicht akzeptiert würde, falls sich tatsächlich eine Beziehung ergäbe. Denken doch viele indische Familien diesbezüglich noch sehr konservativ, sprich – geheiratet wird nur innerhalb der gleichen Kaste. Und mit den Jobs sei das auch nicht ganz so einfach, wie das in Indien immer angepriesen werde.

Trotz all dem hat fast jede reichere Grossfamilie heute irgendwo einen Verwandten in einem westlichen Land. Eigentlich müsste sich doch langsam herumsprechen, das die Realität in den westlichen Ländern manchmal etwas anders aussieht als es die Werbung es verspricht. Ja vielleicht ist dies sogar schon geschehen. Ich wurde erstaunlicherweise nie gross auf das Traumland USA angesprochen. Haben wir Schweizer die USA als beliebteste Zieldestination verdrängt? Ja, die USA sei nicht mehr sehr interessant für sie, erklärt mir ein junger Student auf einem Bahnhof von Bhadrakh, welches ebenfalls über eine Universität verfügt. Dann erklärt er mir wieso das so ist und ich verstehe kein Wort. Zu viel indischer Nasaldialekt für meine Ohren. Ich grinse und nicke nur freundlich, wie ich das in solchen Situationen immer zu tun pflege.
In „The Times of India“ lese ich etwas spaeter, das die USA immer noch das Hauptland für ein Auslandstudium sei, gefolgt von England und Deutschland. Die Schweiz ist gar nicht erwähnt. Wo liegt nun die Wahrheit? In Bollywood?
Vielleicht irgendwo dazwischen, denn auch der Times of India kann man nicht wirklich glauben, wird gemäss dem erwähnten Artikel doch in Deutschland immer noch mit Deutschmark bezahlt. Ausgerechnet im Euroland Deutschland!