Dienstag, 24. Juni 2008

Die Schwierigkeit in Indien ein Zugticket zu kaufen


17 42 57.6N, 83 17 37.2 E


Nein, es ist nicht überall das selbe und ich will durchaus nicht verallgemeinern. In Mumbai war es sogar erstaunlich einfach. In wenigen Minuten hatte ich mein Ticket. Auch in Hyderabad ging es unindisch schnell und fast unbürokratisch. Der Beamte murmelte zwar was von „write here 2728 and there your passport number and address“, aber als ich das brav und ohne murren machte, stellte er mir umgehend mein Ticket nach Vishakapatnam aus.

Vishakapatnam, ein Ort den man nicht nur schwerlich schreiben, geschweige denn aussprechen kann. Ein Mekka der Tippfehler und und eine Hochburg Indischer Ticketbeamten. Alles begann damit, das ich endlich ein fensterloses Zimmer mitten im schmuddeligen Hafenort gefunden hatte und bar des wenig verlockenden Verlieses schnell weiterziehen wollte.

Ich trampe also in altbewährter Manier im Motorikscha zum Bahnhof und sehe mich erst mal um. Ihr müsst wissen, man kann in Indien nicht einfach in die Schalterhalle gehen und dort sein Ticket kaufen. Schalterhallen gibt es, soviel ich inzwischen gelernt habe, mindestens zwei. Eine, in der man NUR Tickets für den gleichen Tag kaufen kann und eine, in der man Tickets für Folgetage reservieren darf. Eben das Reservation Office. Eigentlich logisch, wenn man's erst mal kapiert hat.

Also betrete ich voller Elan die grosse Halle des Reservation Office, wo mir die drückende, heisse Luft im Innern erst mal die euphorische Reisestimmung nimmt. Vor mir tummeln sich etwa tausend andere Reisende die alle auch ein Ticket reservieren wollen. Schnell wird mir anhand der riesigen Leuchtzifferanzeigen klar, dass das hier nach einem Ticket-System funktioniert. Wie auf der Post. Das ist ja einfach, denke ich mir und ich muss erst noch nicht drängeln, weil mit dem Ticket-System ja alles seine Ordnung hat! Oh wie naiv bin ich doch manchmal.

Bevor man überhaupt ein Warte-Ticket beziehen kann, muss man ein Reservierungs-Formular ausfüllen. Ich habe keine Ahnung wo man das hier kriegt, renne also hin und her wie ein nervöses Huhn und finde zufälligerweise eines auf einer Theke liegen. So mache ich mich fleissig daran alle Daten auszufüllen. Vieles ist einfach. Wann ich reise, von wo und wohin, wie viele Plätze usw. Aha, hier hats sogar ein Feld für die Adresse. Das ist neu! Und eins für die Zugsnummer. Aber ich habe keine Ahnung was für ein Zug das sein soll und schon gar nicht welche Nummer der denn hat. Also mache ich mich auf die Suche nach der fehlenden Information.

An der Wand hängen riesige Tafeln auf denen handschriftlich reihenweise Züge aufgelistet sind. Wie das überdimensionale Tagesmenü eines Restaurants. Die Hälfte davon kann ich nicht lesen, denn alles ist in schnörkeliger Hindi-Schrift. Doch die rechte Seite hilft mir weiter! In leserlichem Englisch steht Zug um Zug an der Wand. Ausser natürlich der Zug den ich nehmen wollte. Der ist nirgends zu finden. Ein Zug nach Arakku gibt es nicht. Wenigstens ist er heute nicht im Angebot. Ich muss wohl etwas anderes bestellen.

In einer Ecke finde ich schliesslich ein Computer. Allerdings sieht der eher aus wie ein uralter, riesiger Taschenrechner und hat nur einen Nummernblock mit den Ziffern null bis neun als Bedienungselement. Ich versuche also trotz der bescheidenen Eingabemöglichkeiten den Computer dazu zu bringen, mir zu sagt welcher Zug von Vishnadingsa nach Arakku fährt. Wer je versucht hat Vishakapatnam mit den Ziffern null bis neun auszudrücken kann verstehen, dass dies ganz und gar unmöglich ist. Ich kriege nicht mal ein „V“ hin. Ja ich wüsste ja nicht mal wie man den doofen Ort mit einer „normalen“ Tastatur schreibt, geschweige denn mit diesem Dings da. Der störrische Kasten will nur immer die Zugsnummer von mir wissen. Ja, DIE könnte ich natürlich mit der Tastatur eingeben. Aber DIE WEISS ICH JA NICHT! So bleiben der Computer und ich also bei der gleichen Frage hängen und ich gebe nach einigen Minuten auf und lasse das Feld auf meinem Formular einfach leer. Vielleicht kann ich ja auch so eine Wartenummer bekommen, mit der ich dann endlich anstehen darf.

Aber wo um alles in der Welt kriegt man eine Nummer zum Anstehen her? Ich suche die ganze Halle nach einem Knopf ab den ich drücken kann. Neugierig verfolgt von den Blicken tausend wartender Inder. Klar, ich könnte jemanden fragen, aber dann müsste ich auch wieder alle obligaten Gegenfragen wie „where do you com from?“, „what's your name?“ und „how many children do you have... WHAT, YOU ARE NOT MARRIED????“. Dafür habe ich genau jetzt aber keine Nerven und suche lieber alleine weiter.

Ah da! An der Wand steht „Get your Token at Counter No 10“. Aha! Man muss dieses Ansteh-Ticket also an einem Schalter lösen! Und da laufe ich auch gleich hin, und.... der Schalter Nummer zehn ist geschlossen. Keine Chance ein „Token“ zu kriegen. Aber beim Schalter Nummer elf tummelt sich eine ganze Menge Leute und einer der Wartenden weist mich auch ungefragt darauf hin, das ich hier mein Token bekäme. Ich muss ihm nicht mal sagen das ich Schweizer bin, Alessandro heisse und tatsächlich mit vierzig Jahren noch NICHT verheiratet bin. Oder nicht mehr. Aber damit würden dann wohl tausend Inder in Ohnmacht fallen und das will ich ja auch nicht riskieren.

Ich stehe an. Nach einiger Zeit des wartens schliesst die korpulente Frau am Token-Schalter einfach das kleine Fensterchen und hängt ein „Closed“ Schild davor. Eine Lautsprecherstimme trötet etwas von „closed for 15 minutes“ und wiederholt es mindestens zwanzig mal. Die ganze Schlange mit mir ist etwas empört und einige klopfen sogar ans Fensterchen. Es nützt alles nichts. Die Schalterbeamtin spielt nicht mehr mit und schwatzt unbekümmert mit ihrer Kollegin. Wie auch alle anderen Schalterbeamten, denn die Pause gilt offensichtlich gleich für alle, ausser für die tausend Inder und den einen Schweizer die weiter warten.

Immer mehr Leute stehen, hocken und dösen in der Schalterhalle. Zehn Minuten, fünfzehn Minuten, zwanzig und da, endlich. Die rundliche Beamtin dreht sich wieder um und nimmt nach einigen demonstrativ gemächlichen Aufräumhandlungen endlich wieder die ersten Formulare entgegen. Nach ein paar Minuten sogar meins. Sie sagt nichts zum fehlenden Zug und heftet ein kleines Zettelchen mit der Aufschrift „Token No 822“ daran.

Fassen wir zusammen: Alles in allem habe ich jetzt vielleicht eine Dreiviertelstunde nur damit verbracht endlich mit anstehen beginnen zu dürfen. Oh wie lob ich mir doch die SBB-Ticket Automaten. Aber ich wollte ja reisen und zwar nicht in der Schweiz, sondern in Indien wo man das halt so macht.

Ich stehe also endlich an. Das heisst, ich setze mich erst mal hin. Ich habe einen freien Sitzplatz gefunden und da die riesigen Token-Anzeigen derzeit bei der Nummer 732 stehen, dürfte es wohl noch eine Weile dauern bis ich an der Reihe bin. Neben mir nimmt ein Inder mit aufgeweckten Gesicht Platz und stellt mir die drei obligaten Fragen. „Switzerland, Alessandro, no wife no kids but a girlfriend“. Warum wollen ALLE Inder immer genau das gleiche wissen? Gibt es in der Indischen Grundschule so etwas ähnliches wie einen obligatorischen „Was-Frage-ich-einen-Europäer“ Kurs?

Als Gegenleistung frage ich ihn nun, wie meine Zugsnummer heisse. Da fahre gar kein Zug hin, meint er. Super! Und wozu stehe ich denn seit einer Stunde an? „1VK“ ruft mir ein älterer Inder zu, der zufälligerweise mitgehört hat. Und zurück hiesse er „2VK“. Na also, der nette Herr ist viel hilfreicher als alle Computer und Menu-Tafeln im ganzen Raum zusammen! Sie sollten besser ihn in eine Ecke stellen und ihm ein Schild mit der Aufschrift „Information“ um den Hals hängen. Dann wäre es auch für Banausen wie mich ganz einfach.

Ich kritzle also „1VK“ ins offene Feld des Formulars und warte. Mindestens weitere fünfundvierzig Minuten, zwei Stromausfälle und ein duzend neue Fragen meines Sitznachbars lang. Stufe zwei: Ob es in der Schweiz kalt sei.. (Token 820) oh und wie warm? (Token 821) das sei aber nicht soo warm im Vergleich zu Indien.. usw. (Token 822). Gott sei Dank, ich bin dran und muss keine weiteren Fragen beantworten.

Ich beschliesse zukünftig schon bei den ersten Fragen anzugeben ich SEI verheiratet und hätte drei Kinder. Nein vier... oder besser fünf! Aber dann käme sicher die Frage warum ich die nicht dabei hätte und dann käme ich etwas in Argumentationsnot. Doch glücklicherweise darf ich ja nun endlich zum Schalter und mich da nochmals anstellen. Zum dritten mal. Denn vor dem angezeigten Schalter mit der rot leuchtenden Zahl 822 ist wiederum eine Schlange entstanden. Allerdings eine ganz kleine und nach ein paar Minuten habe ich auch mein Zugticket. Allerdings bin ich auf der „Waitinglist“. Das heisst es ist gar noch nicht sicher ob ich überhaupt fahren kann. Aber ganz ehrlich, das ist mir im Moment egal. Nächstes mal buche ich ganz einfach im Internet, wo man das Ticke am nächsten Tag zugesandt bekommt. Das geht nämlich auch. Man muss es halt nur nutzen!

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