Montag, 23. Juni 2008

Kinder des Windes


17 23 11.1N, 78 28 38.5 E

Ich liege in einem Hotelzimmer in irgend einer Stadt in Indien. Diese Stadt könnte genau so gut irgend eine andere sein. Manchmal verlieren Städte ihr Gesicht, oder haben es gar nicht erst herausgebildet. Doch wenn ich genauer hinsehe, hat diese Stadt schon eins. Es ist die Stadt mit der grossen Buddha-Statue mitten im See. Die Stadt mit dem farbigen Markt und den unendlich vielen Motoritschkas. Gelb auf Schwarz sind die Züge des Gesichtes. Doch manchmal verschleiern die Ecken und Kanten des Profils und driften ins Konturlose ab. Der Blick stumpft ab. Es ist nicht die Stadt welche den Eindruck erweckt, es ist der Betrachter der ein Bild zulässt oder es übersieht. Man sieht nur was man sehen will. Die Aufmerksamkeit ist ein Gut das nur Begrenzt zur Verfügung steht.

Von der Macht der Aufmerksamkeit
Es ist spannend zu sehen, wie unterschiedlich ein und dieselbe Strasse auf einen wirken kann. Bei meiner Ankunft war die Hauptstrasse die über einen riesigen Kreisel in die Nähe meines Hotels führt nur eine einzige Lawine des Gestanks, Lärms und viel zu vieler Menschen. Eine sich windende Schlange die mich aufzufressen drohte. Ich reite mit meinen fast dreissig Kilo Gepäck auf ihrem Rücken wie Kapitän Ahab auf seinem Wal. Auf der Flucht vor dem Monstrum und doch verführt es zu bezwingen. Denn nur auf ihr gelangte ich in mein rettendes Hotelzimmer, in dem es ruhig und kühl ist. In dem ein frisch bezogenes Bett und ein Buch auf mich wartet.
Doch nachdem ich mich etwas entspannt habe, zieht es mich doch wieder auf die Strasse. Inzwischen ist es dunkel geworden. Indiens Strassen sind ganz anders wenn sie ins kühle Licht der Nacht getaucht sind. Und jede Stadt enthüllt in der Nacht ihr zweites Gesicht. Mumbai war diesbezüglich nicht gerade mein Favorit. Hydarabad dagegen hat mit der Dunkelheit an Attraktivität gewonnen. Es ist ruhiger geworden, auch wenn der Verkehr nicht wesentlich nachgelassen hat. Aber auch das ist vielleicht eine Täuschung, die wiederum nur von mir als Betrachter ausgeht. Vielleicht ist nicht Hydarabad mit der Dunkelheit ruhiger geworden, sondern ich selber.

Mit der Ruhe kommt die Aufmerksamkeit zurück. Die Details gewinnen an Gewicht. Diese Kleinigkeiten, die einem die Schönheit einer Stadt offenbaren. Dort ein Motoritschka das auf zwei statt auf drei Rädern schräg in der Landschaft steht, damit ein Mechaniker sein Getriebe reparieren kann. Hier ein ganzer Bulk von Bettlern, die einem besonders spendablen Passanten alle gleichzeitig die Hände wie zum Gebet entgegenstrecken. Eine Stadt ist wie eine Frau in die man sich verliebt. Sind es nicht auch da die Kleinigkeiten die das Besondere ausmachen? Der Haaransatz im Nacken, die Stelle wo das Schlüsselbein auf den Hals trifft, ein Punkt auf der Wirbelsäule eine Hand breit über dem Steissbein? Genau in solche Kleinigkeiten verliebt man sich. Wenn man sie denn sieht. Wenn man das Betrachten zulassen kann.

Vom ewigen Aufbruch
Ich lese ein Buch: „T.E. Lawrence: (..)e sieben Säulen der Weisheit“. Einen Teil des Titels kann man nicht lesen, da es mit dickem Verbandspflaster notdürftig zusammengeheftet wurde. Ich habe es überteuert in einem Trödelgeschäft in Hampi erstanden. Doch ich wollte es unbedingt kaufen. Es handelt von „Laurence von Arabien“, wie er mit den arabischen Nomaden gelebt und gelitten hat. Das Thema hat mich sofort gepackt. Im Buchladen wusste ich nicht wieso. Wusste nur, das ich diesen überteuerten Preis von 270 Rupien (etwa sechs Franken) trotzdem bezahlen muss, unfähig ihn herunter zu handeln. Inzwischen dämmert es mir langsam. Der packende Punkt des Buches ist die Schilderungen über das Nomadentum. Das Dasein für den Moment. Das ziehen von Ort zu Ort ohne feste Wurzeln. Es handelt von den Kindern des Windes, die kein Zuhause ihr eigen nennen dürfen, ja es auch gar nicht wollen. Vom schwarz und weiss denken, ohne Kompromisse. Von den Entbehrungen und der Einsamkeit, sowie von den Folgen die solch ein Leben mit sich bringt.

T.E. Lawrence schreibt:„Der Beduine der Wüste, der in ihr geboren und aufgewachsen ist, hat sich mit ganzer Seele dieser für Aussenstehende allzu harten Kargheit hingegeben, aus dem zwar gefühlten, aber nicht bewusst gewordenen Grund, weil er sich in ihr wahrhaft frei findet. Er hat alle materiellen Bindungen, Annehmlichkeiten, Verfeinerungen, Luxus und sonstigen Ballast des Lebens hinter sich gelassen, um dafür eine persönliche Freiheit zu gewinnen, die von Elend und Tod bedroht ist. (...) Sein Leben bietet ihm Luft und Wind, Sonne und Licht, freien Raum und eine grosse Leere. Diese Natur blieb unberührt von Menschenwerk und Gabenfülle: nur den Himmel droben und drunten die jungfräuliche Erde. So kam er unbewusst Gott näher“

In wundersamer Weise hat mich mein Schicksal zu den Meistern meiner Zunft geführt, deren herbe Luft ich ein klein wenig schnuppern darf. Auch wenn mein vorübergehendes Nomadentum ein lauer Abklatsch des Lebens der Beduinen ist, sind da doch Spuren einer Verwandschaft zu erkennen. Manche Gefühle kommen mir bekannt vor die T.E. Lawrence beschreibt, wenn er sie auch in der Reinform, als Essenz erlebt hat. Ich geniesse sie in homöopathischen Dosen, erlebe aber ähnliche Wirkungen auf mein Unterbewusstsein und mein Bewusstsein.
Es sind dieselben Elemente und es spielt keine Rolle ob das ewige Weiterziehen nun in der Wüste, von Stadt zu Stadt oder entlang der Küste Stattfindet. Es ist die Freiheit, Ungebundenheit und schliesslich auch die Einsamkeit die sie mit sich bringt. Die Einsamkeit der ewigen Abschiede, des Weiterziehens und doch nie wirklich Ankommens.

Die Einsamkeit die einen spüren lassen, das sich das kleine im grossen spiegelt. Das wir als Nomaden auf diese Welt gekommen sind. Nichts und niemand erlaubt uns hier ewig zu bleiben. Wir kamen von irgend woher, wurden fortgerissen um auf dieser Welt unseren kurzen Weg zurück zu legen. Selbst dieser Weg ist von verschiedenen Reisen und Stationen geprägt. Jede mit ihrem eigenen Ort. Einem Ankommen, einem Aufenthalt und irgendwann einem Aufbruch und Abschied. Manche Stationen unseres Lebens lassen uns etwas rasten. Andere sind nur von kurzer Dauer und schon bald müssen wir wieder weiter. Oft ins Ungewisse, ob wir wollen oder nicht. Wir alle sind Nomaden, auch wenn wir uns noch so an Orte, Personen oder Dinge klammern. Wir können nichts halten, müssen immer weiter.

Wir alle sind Nomaden. Wir alle sind Kinder des Windes.

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