Neue Freunde im Arakku-Tal
18 12 46.4N, 83 02 18.8 E |
Nach einer ziemlichen Irrfahrt bin ich endlich in meiner Waldhütte im Arakku-Tal angekommen. Leider hat mir eine mitreisende Inderin erst die falsche Auskunft gegeben, mein Zielbahnhof „Tyda“ käme erst nach dem grösseren Ort Arakku. Also blieb ich sitzen, worauf mir ein anderer Mitfahrer erläuterte, an Tyda seien wir aber längst vorbeigefahren. Schon vor einer Stunde! Ich müsse zurück nach Arakku und von da mit dem Buss weiter. „Aber wie denn“ fragte ich mich. Wir waren längst mitten im Nirgendwo. „Steigen sie beim nächsten Halt aus und fragen sie den Bahnhofvorsteher. Der erklärt ihnen wie sie zurück kommen“ erläutert mir der nette Herr. Noch beim Aussteigen erklärt mir ein anderer, wo ich ein Taxi kriege und wo ich den Bahnhofvorsteher finden könne. Hilfsbereit sind sie wirklich, die Inder, das muss man ihnen lassen! Selbst wenn sie einem manchmal absoluten Quatsch erzählen, sie meinen es immer gut. Man darf sich halt nicht auf eine einzelne Auskunft verlassen. Am besten frägt man drei unabhängige Passanten und hofft wenigstens zwei gleiche Auskünfte zu erhalten.
Nachdem ich mit zwölf (!!) anderen Reisenden plus meinem riesigen Rucksack im winzigen Motorikscha wieder zurück nach Arakku und im lokalen Bus bis nach Tyda getuckert bin, erreiche ich einige Stunden zu spät aber doch happy meine Waldhütte im Ressort mit dem schreienden Namen „Jungle Bells“. Die Luft ist frisch, feucht und kühl. Überall wimmelt es von Insekten und die hallenden Rufe exotischer Vögel durchdringen den dichten Wald. Es ist wahrlich ein halber Dschungel der das Ressort umgibt. Leider sind auch hier keine einzigen ausländischen Touristen zu sehen und ich bin schon wieder der „Rote Hund“ und werde von vielen neugierigen Blicken verfolgt. Doch daran habe ich mich längst gewöhnt und schnell komme ich mit den anwesenden Indern in Kontakt. Zuerst mit einem freundlichen Taxifahrer, der von einer Indischen Familie gleich für ein paar Tage „gemietet“ wurde und einfach im Taxi übernachtet.
Am nächsten Morgen sitzen am Nachbartisch zwei junge Inder. Der kleinere mit wohl gestutztem Vollbart, etwas traurigem Dackel-Blick und modischer Frisur. Der grössere mit Lederjacke und dem Aussehen eines Indischen Motorradgang-Bosses. Die beiden sind so gegensätzlich das es zum Himmel schreit, sehen aber irgendwie sympathisch aus. Sie haben einen entspannt frechen Umgangston und so kommen wir gleich ins Gespräch. Ich erfahre das die beiden langjährige Freunde sind, zusammen eine Firma gegründet haben und Zack (der kleinere) von Praveen (dem mit Lederjacke) heute Nacht um drei spontan zu einer Motorradtour abgeholt wurde. Zack hätte sich drum grad von seiner Freundin getrennt und jetzt kümmere sich Praveen um ihn. Wie sich das für gute Freunde gehört.
Die beiden wollen zu den Borra-Höhlen, was auch mein Ziel für heute ist und drum schliesse ich mich ihnen freudig an. Wir fahren zu dritt auf Praveens Motorrad zu den Höhlen. Das geht erstaunlich gut! Entweder sind Indische Motorärder anders gebaut, oder Inder benötigen darauf einfach weniger Platz. Jedenfalls ist die Fahrt unterhaltsam und bequem.
Am touristisch wirkenden Eingang der Borra-Caves müssen wir erst einmal abwarten, denn die Höhlen öffnen erst eine halbe Stunde später. Praveen nutzt die Gelegenheit und schläft erst mal nach. Währenddessen haben Zack und ich sehr interessante Gespräch über kulturelle Unterschiede zwischen Europäern und Indern. Zack scheint gut orientiert zu sein. Er erklärt mir viel über den Unterschied zwischen Indischen und Europäischen Ehen. „Too much trying spoils the taste“ findet er. Die Inder seien sich gewohnt, eine Situation als gegeben hinzunehmen und das Beste daraus zu machen. Er persönlich entscheide sich immer nur einmal. Wenn er zum Beispiel seine Freundin nicht zurück bekomme, dann wolle er gar keine Frau. Ich frage ihn, was denn das Problem sei mit seiner Freundin. Sie sei Katholikin und er Moslem, erklärt er mir. Um heiraten zu können, müsse sie konvertieren, was sie aber nicht wolle. Er hätte ihr zwar das Angebot gemacht zuerst nach christlichem Glauben kirchlich zu heiraten und dann zu konvertieren, aber auch darauf sei sie bis jetzt nicht eingegangen. Mit der Zeit merke ich, dass das Problem weniger bei Zack oder seiner Freundin liegt, sondern bei deren Umfeld. Die Familie in die sie eingebettet sind bedeutet ihnen alles. Keiner von beiden will die Gefühle seiner Eltern verletzen und das macht die Situation ziemlich hoffnungslos. Ob sie denn überhaupt heiraten müssen, frage ich ihn. „Kinder ohne heiraten?“ will er entsetzt von mir wissen. „No way. They would kill me!“.
Zack erzählt mir später auch, dass es immer mehr „Love Marriages“ gäbe in Indien und gleichzeitig auch die Scheidungsrate extrem ansteige. Für ihn scheint es gar nicht so einen Unterschied zu machen, ob er seine Freundin nun von ihm, oder von seinen Eltern ausgesucht sei. Er sei nur mit fünfundzwanzig Jahren langsam ziemlich alt und sollte endlich heiraten. Die ersten Bekannten hätten bereits angefangen unangenehme Fragen zu stellen.
Das Geheimnis um „But you can scroll!“
Im Verlauf des Gesprächs über kulturelle Unterschiede lüftet mir Zack auch zum ersten mal den Schleier um ein Geheimnis, welches seit Jahren in meinen Gedanken herum spukt. Vor einiger Zeit durfte ich in einem Projekt mit Indern arbeiten. Wir mussten für eine Bank verschiedene Programme erstellen und ich hatte die Rolle des Projektleiters.
Unter anderem sollten wir ein Programm ausarbeiten, welches in einem Fenster eine Liste zur Überprüfung einiger Daten darstellt. Ich erklärte meinem Indischen Programmierer den Sachverhalt und was das Programm tun soll. Er nickte fleissig, wobei das Indische Kopfgewackel nicht immer eindeutig als „Ja“ zu identifizieren ist und das meines Programmierers eine ganz besondere Knacknuss für mich darstellte. Ich frage also nochmals nach ob er alles verstanden habe. Kopfgewackel. Ich schaute ganz genau hin, war aber immer noch nicht sicher. Erst nach dem dritten Nachfragen entlockte ich ihm endlich ein akustisches „yes“ und damit die Bestätigung das alles klar sei. Er machte sich an die Arbeit.
Nach einiger Zeit rief er mich zu sich, er sei fertig mit dem Programm. Ich sah auf seinem stattlichen neunzehn Zoll Bildschirm ein winziges Fensterchen mit der gewünschten Liste. Leider sah man nur einen kleinen Ausschnitt davon. Ich erklärte ihm also, das Programm sei ja ganz schön und die Daten ok, aber das von ihm programmierte Fenster sei etwas klein. Er hätte doch soooo viel Platz zur Verfügung. Er meinte darauf hin nur ziemlich pikiert „yes, but you can scroll!“.
Damit war das Thema für ihn denn auch erledigt. Ich hätte es ihm das ja nicht so spezifiziert und ich könne mit hin- und her- und rauf- und runterscrollen alles sehen was ich wolle. Also sei das Programm richtig! Es bedurfte beträchtliche Überredungskunst um meinen Inder davon zu überzeugen, das ich gerne ein grosses, übersichtliches Fenster hätte, in dem man die ganze Liste am Stück sehe! Am besten eins, das den GANZEN Bildschirm ausnutzt.
Noch lange war mir unverständlich, wie die Denkweise so unterschiedlich sein kann, wo mir die Ausganslage doch so klar erschien. Warum konnte sich mein Inder nicht in die Situation und Anforderungen eindenken. Die Intelligenz dazu hatte er durchaus.
Zack konnte mir hier nun eine ebenso simple wie einleuchtende Erklärung geben. Inder seien sehr Hierarchiegläubig. Wenn sie nun einen Auftrag bekämen, würden sie genau das erfüllen, was der definierte Auftrag beinhalte. Nicht weniger, aber auch auf keinen Fall mehr. Wenn sie mehr umsetzten würden, wäre das ein klares Signal, dass sie auf den Posten ihres Auftragsgebers scharf seien. Da sie diesen aber nicht durch übermässigen Ehrgeiz verärgern wollen, würden sie die „Provokation“ gar nicht erst in Betracht ziehen. Nur was spezifiziert ist wird auch umgesetzt. Damit ist der Vorgesetzte zufrieden und fühlt sich nicht übergangen.
Mein Programmierer wollte mir also nur den nötigen Respekt zollen und hat mich darum die ganze Zeit wie wild scrollen lassen. Wer hätte das gedacht! Danke Zack, das nächste mal weiss ich Bescheid.
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